DiagnostikSchlafLernenStrukturierung im AlltagSozialverhaltenKomorbiditätenMedikamentöse BehandlungNicht-medikamentöse BehandlungPubertät & TransitionKooperation mit Helfersystemen

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PD Dr. med. Dipl.-Psych. Mirjam N. Landgraf, Deutsches FASD KOMPETENZZENTRUM Bayern, LMU Klinikum, München

FAQs

Welche Stellen bzw. Kliniken diagnostizieren FASD bei Kindern, Jugendlichen und Erwachsenen?

Für die Diagnostik von Kindern und Jugendlichen mit Verdacht auf eine FASD sind vor allem spezialisierte FASD-Zentren, aber auch FASD- erfahrene Sozialpädiatrische Zentren (SPZ) und Kinder- und Jugendpsychiatrien geeignet.

Eine Liste von SPZs, die laut eigener Aussage FASD gemäß S3 Leitlinie (dem aktuellen medizinischen Standard) diagnostizieren, finden Sie unter folgendem Link: https://www.deutsches-fasd-kompetenzzentrum-bayern.de/wp-content/uploads/2022/12/SPZ-Deutschland-FASD-Diagnostik-01.12.2022.pdf

Für die Diagnostik von Erwachsenen mit Verdacht auf eine FASD sind vorwiegend FASD-Zentren sowie psychiatrische Kliniken und Praxen geeignet. Einige dieser Kliniken finden Sie im unteren Abschnitt der Website unter folgendem Link: www.fasd-deutschland.de/diagnostik-aerzte/

Die Bezeichnung Fetale Alkoholspektrumstörung findet man nicht in der ICD 10 (International Classification of Diseases) – welche Diagnose-Ziffer kann man vergeben?

In der ICD 10 findet man nur den alten Begriff „Alkoholembryopathie (mit Dysmorphien)“ als Kodier-Ziffer Q86.0. Dies ist insbesondere deswegen problematisch, da viele PatientInnen mit FASD keine sichtbaren Dysmorphien (=Fehlbildungen) haben. Da jedoch alle PatientInnen mit FASD Gehirnfunktionsstörungen aufweisen, ist eine Fehlbildung bzw. Fehlentwicklung des Gehirns durch die intrauterine Alkoholexposition pathophysiologisch anzunehmen. Das Expertengremium ist sich daher einig, dass bei jeder FASD (also FAS, pFAS und ARND) die Kodier-Ziffer Q86.0 vergeben werden sollte. Um die Teilhabebeeinträchtigung von PatientInnen mit FASD jedoch zusätzlich für alle (auch FASD-unerfahrene Fachkräfte) sichtbar zu machen, empfiehlt der Expertenkreis, dass Symptome der FASD wie z.B. eine Intelligenzminderung oder eine Aufmerksamkeitsstörung zusätzlich unter den Diagnosen aufgeführt und mit einer ICD 10 Ziffer versehen werden.

Für 2022 ist die Ablösung der ICD 10 durch die ICD 11 geplant. In der ICD 11 kann das Fetale Alkoholsyndrom (FAS), als alleinige Untergruppe der FASD, mit der spezifischen Ziffer LD2F.00 kodiert werden. Das partielle Fetale Alkoholsyndrom (pFAS) und die alkoholbedingte entwicklungsneurologische Störung (ARND) können die Ziffer 6A0Y erhalten und fallen damit unter die Klassifikationskategorie „Other specified neurodevelopmental disorders“ mit der Unterkategorie „Neurodevelopmental syndrome due to prenatal alcohol exposure“.

Was sind die Unterschiede zwischen:

  • FASD bzw. Q86.0 G,
  • V.a. FASD bzw. Q86.0 V,
  • Arbeitsdiagnose FASD und
  • A.v. FASD bzw. Q86.0 A?

Q86.0 G bedeutet, dass alle diagnostischen Kriterien erfüllt sind und die Diagnose FASD als gesichert gestellt wurde. Wenn im Arztbrief als Diagnose FASD oder Q86.0 ohne einen Buchstaben dahintersteht, bedeutet das das Gleiche.

V.a. FASD bzw. Q86.0 V heißt Verdacht auf FASD und bedeutet, dass der/die PatientIn eventuell eine FASD hat, jedoch nicht alle diagnostischen Kriterien für dieses Krankheitsbild erfüllt sind und damit keine klarere Aussage hinsichtlich der Diagnose getroffen werden kann. Für die Beantragung von Unterstützungsmaßnahmen müssen in einem solchen Fall Sorgeberechtigte die Beeinträchtigungen des/der PatientIn in verschiedenen Bereichen der Gehirnfunktionen wie z.B. Aufmerksamkeitsstörung, emotionale Störungen oder Intelligenzminderung in den Vordergrund stellen, um den Bedarf für Hilfen zur Teilhabe erkennbar zu machen. Hilfreich ist dabei, dass für diese Bereichsbeeinträchtigungen ICD 10 Nummern in ärztlichen Stellungnahmen und sonstigen Gutachten angegeben werden.

Arbeitsdiagnose FASD wird in der ICD 10 Klassifikation von Erkrankungen nicht gesondert genannt. Viele ExpertInnen nutzen den Begriff „Arbeitsdiagnose“ dennoch, um anzuzeigen, dass der/die PatientIn aus ihrer klinischen Sicht mit hoher Sicherheit eine FASD hat, die Diagnose jedoch wegen minimalen Nicht-Erfüllens erforderlicher diagnostischer Kriterien nicht als gesicherte Diagnose gestellt werden kann.

A.v. FASD oder Q86.0 A bedeutet, dass FASD nicht diagnostiziert werden konnte, die Diagnose also ausgeschlossen ist.

Kann sich die Art der Diagnose FASD (V.a./Arbeitsdiagose/A.v.) noch verändern?

Bei Säuglingen und jungen Kindern wird häufig vorerst nur der Verdacht auf eine FASD gestellt. Dies tritt insbesondere dann auf, wenn phänotypisch keine Auffälligkeiten des Wachstums und des Gesichtes und keine sonstigen Fehlbildungen vorhanden sind. Außerdem sind bei FASD häufig die höheren kognitiven Funktionen wie z.B. Exekutivfunktionen beeinträchtigt – diese existieren aber bei jungen (auch gesunden) Kindern naturgemäß noch nicht, sondern entwickeln sich erst später.

Die Verdachtsdiagnose FASD kann sich also im Entwicklungsverlauf zu einer Arbeitsdiagnose oder einer gesicherten Diagnose FASD verändern, oder aber auch zu einer Ausschlussdiagnose (=kein FASD).

Wenn mein Kind nur die Verdachtsdiagnose „V.a. FASD“ hat, bekommt es dann keine Hilfen?

Auch mit dem „Verdacht auf FASD“ bekommt Ihr Kind Hilfen, da deren Genehmigung sich nicht an der Diagnose, sondern an den Teilhabebeeinträchtigungen Ihres Kindes orientieren muss. Hilfreich für die Antragsprüfung und –genehmigung von Unterstützung ist, dass für die Beeinträchtigungen Ihres Kindes (wenn möglich) zusätzliche ICD 10 Ziffern in ärztlichen Stellungnahmen und sonstigen Gutachten angegeben werden. Außerdem sollten in den Arztbriefen/Stellungnahmen die individuellen Beeinträchtigungen Ihres Kindes aus den Beurteilungen klar ersichtlich sein und individuelle Empfehlungen für Ihr Kind formuliert werden.

Warum ist eine Diagnostik hinsichtlich FASD überhaupt sinnvoll?

Durch das Stellen der Diagnose FASD kennt man die Ursache für die Auffälligkeiten des/der PatientIn, nämlich die alkoholtoxische Gehirnschädigung. Dadurch erlangt man als PatientIn selbst, als Elternteil und als Fachkraft ein Krankheitskonzept, das dazu beiträgt, dass man seine Erwartungen ändern und sowohl das Umfeld als auch die Förderung und Therapie für den/die PatientIn anpassen kann. Auch kann die Diagnose Hinweise auf besondere Risiken für die erkrankten Menschen geben (z.B. schlechtes Lernen bei Überforderung oder eigene Suchtproblematik), die man frühzeitig erkennen und angehen kann. Damit kann die Prognose der PatientInnen verbessert werden.

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Pflege- und Adoptivmutter GM:

Eine Diagnostik ist bei Verdacht auf FASD unbedingt notwendig, da hier eine oder keine Diagnose für alle Beteiligten hilfreich sein können. Der Alltag kann bei einer Diagnose die unter den Oberbegriff FASD fällt anders, liebevoll strukturiert, gestaltet werden. Als Erziehender kann man den Erziehungsalltag besser gestalten und zweifelt nicht an seinen Fähigkeiten. Wichtig ist daran zu denken, dass gerade bei Adoptiv- und Pflegekindern es eine Diagnose für drei ist.

Für die Adoptiv- und Pflegeeltern – sie können andere Wege im Alltag gehen, sollten aber nicht von vorne herein das Kind nur als behindert sehen, sondern auch Mut haben, die Fähigkeiten des Menschen mit FASD zu stärken die überaus positiv sind.

Für den Menschen mit FASD bringt die Diagnostik Klarheit, warum er anders ist, warum er sich so anstrengen muss, um seinen Alltag geregelt zu bekommen. Schön wäre es, wenn die Diagnose dann akzeptiert wird und er Hilfe annehmen kann (alle Phasen durchlaufen – Spiralmodell von Frau Barbara Schuchert).

Für die leiblichen Eltern kann eine Diagnose stigmatisierend sein, daher ist hier ein behutsamer Umgang mit der Mutter ohne Schuldzuweisung von Nöten.

 

Pflegeschwester SH:

Eine Diagnostik hilft zu verstehen, was mit dem Geschwisterkind oder Pflege-Geschwisterkind los ist, warum es sich verhält, wie es sich verhält. Sie vereinfacht das Alltagsleben, weil durch eine Diagnose ein Grundverständnis bei allen Beteiligten geweckt wird. Das mildert Überforderungszustände und Erwartungshaltungen ab. Es wird beispielsweise nicht mehr grundsätzlich durch die Eltern oder Erziehenden erwartet, dass das Kind mit Diagnose eine normale Schulform besucht und diese problemlos durchläuft. Dadurch, dass diese Erwartungen durchbrochen werden, erfährt das Kind mehr Freiraum in seiner (schulischen) Entfaltung und erfährt weniger Druck. Das führt zu weniger Stress im Allgemeinen, in der Schule, in der Familie. Eine Diagnose kann sich somit positiv auf alle Beteiligten auswirken.

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Dr. med. Dorothee Veer, SPZ Meppen, Krankenhaus Ludmillenstift, Meppen

FAQs

Welche Schlafstörungen treten bei Kindern mit einer Fetalen Alkoholspektrumstörung häufig auf?

Kinder mit FASD leiden besonders häufig an Einschlafstörungen sowie wiederholtem Wechsel zwischen den Schlafstadien, was fragmentierten Schlaf und häufiges nächtliches Erwachen zur Folge hat. Außerdem kommen Parasomnien (unter dem Begriff werden z.B. Alpträume, Schlafwandeln, nächtliches Zähneknirschen, Sprechen im Schlaf, Bettnässen zusammengefasst) sowie schlafbezogene Atemstörungen (insbesondere obstruktive Schlafapnoe oder -hypopnoe) vor. Die Schlafdauer ist im Vergleich zu Kindern ohne FASD häufig reduziert und es kommt vermehrt zu Tagesmüdigkeit.

Wie wirkt sich die Schlafstörung meines Kindes mit FASD auf den Alltag aus?

Schlafstörungen können unter anderem zu einer Reduzierung der Lern- und Schulleistung, der Selbstregulation und der Aufmerksamkeit führen sowie zu einer Zunahme von Gedächtnisproblemen und Verhaltensstörungen. Auch kann sich verminderter Schlaf negativ auf das Wachstum Ihres Kindes auswirken. Außerdem führen Schlafprobleme des Kindes häufig zu gestörtem Schlaf der Erziehungsberechtigten. All diese Faktoren führen zu einer zusätzlichen Belastung für Sie als Erziehungs- oder Bezugsperson.

Im Video wurde Melatonin erwähnt. Was hat es damit auf sich und wer verschreibt das meinem Kind mit FASD und Schlafstörung?

Eine Studie von Goril et al. aus dem Jahr 2016 hat herausgefunden, dass 79% der Kinder mit FASD eine gestörte Melatoninprodukion und -sekretion haben. Insbesondere bei Einschlafstörungen, aber auch bei Durchschlafstörungen kann es helfen, dieses natürlich vorkommende Schlafhormon ca. 30 Minuten vor dem zu Bett gehen einzunehmen. Meistens wird es gut vertragen. Mögliche Nebenwirkungen sind Schläfrigkeit, Erschöpfung, morgendliche Müdigkeit, Stimmungsschwankungen, Kopfschmerzen, Reizbarkeit und Aggressivität.

Die Zulassung Melatonins bei Kindern ab 2 Jahre ist in Deutschland auf bestimmte Diagnosen (Autismusspektrumstörung, Smith-Magenis-Syndrom) beschränkt. Besprechen Sie bei deutlicher Schlafstörung ihres Kindes mit ihrem betreuenden Kinderarzt, Kinderpsychiater, Schlafmediziner oder sozialpädiatrischen Zentrum, ob bei Ihrem Kind der Einsatz von Melatonin im Rahmen eines individuellen Heilversuchs (off-label) in Frage kommt.

Wie kann ich meinem Kind mit FASD und einer Schlafstörung noch helfen?

Sie können versuchen, die Entspannung zu fördern. Bei Säuglingen/Kleinkindern z.B. durch eine Kindermassage oder Baden vor dem ins Bett bringen. Bei größeren Kindern können Entspannungsverfahren (z.B. progressive Muskelentspannung nach Jacobson), Phantasiereisen oder Meditation helfen, sowie ggfs. eine Psychotherapie. Einige Familien setzen Gewichtsdecken mit Erfolg ein.

Wo finde ich Quellen oder weitere Informationen?

Dylag KA et al. (2021). Sleep problems among children with Fetal Alcohol Spectrum Disorders (FASD)- an explorative study. Italian Journal of Pediatrics; 47: 113.

Goril S et al. (2016). Sleep and melatonin secretion abnormalities in children and adolescents with fetal alcohol spectrum disorders. Sleep Med; 23: 59-64.

Chen ML et al. (2012). Sleep Problems in Children with Fetal Alcohol Spectrum Disorders. Journal of Clinical Sleep Medicine; 8(4): 421-429.

Schlafstörungen bei Säuglingen, Kleinkindern, Kindern und Jugendlichen: Patientenratgeber der Deutschen Gesellschaft für Schlafforschung und Schlafmedizin (DGSM) AG Pädiatrie.

Download unter:
www.dgsm.de/fileadmin/patienteninformationen/ratgeber_schlafstoerungen/Schlafstoerungen_bei_Saeuglingen_Kleinkindern_Kindern_und_Jugendlichen.pdf

www.kinderaerzte-im-netz.de/news-archiv/meldung/article/schrittweise-kleine-veraenderungen-koennen-bei-schlafproblemen-helfen/

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Pflege- und Adoptivmutter KL:

Bei Säuglingen und Kleinkindern kann bei Schlafproblemen Pucken helfen, bei Säuglingen noch mit einer Stoffwindel, später dann mit einem großen Handtuch oder einer Decke. Dafür das Kind auf den Rücken legen, die Arme seitlich an den Körper, und dann das Tuch bzw. die Decke fest um das Kind wickeln. Das Ende des Tuches/der Decke sollte dabei unter dem Körper des Kindes liegen. Damit wird verhindert, dass sich das Kind durch ständiges Bewegen der Arme und Beine selbst am (Ein)Schlafen hindert. Wenn das Kind größer ist, kann ein Schlafsack oder eine schwere Decke das Ein- und/oder Durchschlafen unterstützen.

Außerdem sollte die Schlafumgebung des Kindes immer reizarm und kühl sein: verdunkelte Räume, möglichst auch kein Nachtlicht, nach dem Säuglingsalter auch keine offenen Regale (die oft dazu führen, dass das Kind immer wieder aufsteht, weil der Inhalt ja so interessant ist), wenig Bilder an den Wänden etc. Oft muss man einfach ausprobieren, was dem Kind hilft. Manche mögen auch leise Musik oder ein Hörspiel, andere kuscheln gern beim Einschlafen, wieder andere (z.B. meine 3) wollen einfach ihre Ruhe haben.

Für alle wichtig sind Rituale: Wir haben seit 21 Jahren (seit unsere Älteste als Säugling zu uns kam) den gleichen abendlichen Ablauf – modifiziert an das jeweilige Entwicklungsalter der Kinder: immer etwa zur gleichen Zeit Abendessen, dann noch 10 min spielen, dann geht es nach oben, duschen, Schlafanzüge anziehen, Zähne putzen und ab ins Bett (im Säuglings- und Kleinkindalter hatten unsere Kids jedes ein eigenes Schlaflied, dass beim Singen wie ein Schalter gewirkt und die Kinder beruhigt hat). Die Großen dürfen noch einige Zeit lesen, das Licht wird immer zur gleichen Zeit ausgemacht. Und dann ist Ruhe… Diese Verlässlichkeit des Ablaufs ist richtig wichtig, weil für die Kids vorhersehbar.

Und noch etwas für die Eltern von Bettnässern: wichtig ist nicht, dass das Kind nachts trocken ist, sondern dass das Kind nachts schläft! Kinder mit FASD haben nun mal eine Beeinträchtigung und oft ist auch die Wahrnehmung gestört. Es spricht überhaupt nichts dagegen, dass auch ältere Kinder nachts eine Windel tragen, wenn dadurch der Schlaf (auch der Bezugspersonen) gewährleistet ist. Ab 3 Jahren bezahlt die Krankenkasse die Windeln, wenn vom Kinderarzt eine Verordnung vorliegt. Und nein: dafür braucht man keinen Pflegegrad. Meine Kids waren übrigens mit 15, 10 und 11 Jahren nachts trocken, ganz ohne Stress und Training, sondern einfach, weil sie in diesem Alter ihre Blase auch nachts kontrollieren konnten.

 

Pflege- und Adoptivmutter GM:

Schlaf ist ganz wichtig. Sollte der Mensch mit FASD Schlafstörungen (sowohl Einschlaf-, wie auch Durchschlafstörungen) zeigen, ist eine genaue Überprüfung in einem altersentsprechenden Schlaflabor angezeigt. Häufig ist mit einer medikamentösen Therapie dem Menschen mit FASD geholfen. Auch diese haben einen Leidensdruck nicht schlafen zu können und sind nach einer oder mehreren schlaflosen Nächten überreizt.

 

Pflegeschwester SH:

Schlaf ist meiner Erfahrung nach bei meinen Pflegegeschwistern sehr individuell. Ein Kind nutzt sein Tablet dazu, Kinderhörspiele zum Einschlafen zu hören. Ein anderes wiederum darf am besten weder Tablet noch Handy noch irgendwelche Lärm- oder Lichtquellen zum Einschlafen in der Nähe haben, sonst kommt es nicht in den Schlaf. Ein drittes Kind wiederum hat einen tiefen und festen Schlaf, sobald es einmal schläft – bis dahin dauert es aber. Auch Melatonin hat hier nicht geholfen, eher gegenteilige Wirkung gehabt, weil das Kind nach Einnahme mental gegen die Wirkung ankämpfte. Das Kind erfährt außerdem nächtliche Hungerattacken, durchforstet die Küche, isst dann allein (obgleich gemeinsames Abendessen angeboten wird) und schläft meist erst nach 2 Uhr ein. Bei früherem Einschlafen, z.B. ab 22 Uhr, ist es oft schon ab 4 Uhr morgens wach.

Im Säuglingsalter bis zum dritten Lebensjahr hat ein Kind fast durchgehend geschlafen. So viel, dass eben dieses zeitintensive Schlafpensum sehr auffällig war.

Ein anderes Kind brauchte besondere Enge, drapierte stets vor dem Schlafengehen sämtliche Kissen, Kuscheltiere und alles, was es fand, so eng um sich herum, dass es sich selbst kaum noch im Bett drehen konnte.

Ich empfehle, die Schlafgewohnheiten individuell zu beobachten und das Wohlfühlen zu fördern. Auch wenn es nicht „normal“ erscheint, erspart es viel Stress, wenn man sich nicht über die nächtliche Kühlschrankplünderei aufregt, sondern stattdessen – in unserem Fall – eine Schale Cocktailtomaten bereitstellt, damit das Kind auch etwas findet, was es mag, um nach dem Essen ruhig schlafen zu können. Sonst tigert es eine Stunde länger umher und durchforstet noch mehr Schränke, und darauf folgt der Stress am nächsten Morgen.

Bei Lichtwunsch oder Lichtempfindlichkeit helfen bereits Kleinigkeiten wie Stecker oder Nachtlicht, oder auch eine geschlossene Tür und heruntergelassene Rolläden, je nach Kind. Nicht darauf bestehen, dass das Licht an oder ausbleibt, sondern dem Kind (zumindest zum Einschlafen) seine Sicherheit geben und es so handhaben, wie das Kind am besten in den Schlaf findet.

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FAQs

Warum hat mein Kind mit einer Fetalen Alkoholspektrumstörung Lernschwierigkeiten?

Durch den mütterlichen Alkoholkonsum in der Schwangerschaft können sehr verschiedene Bereiche im Gehirn geschädigt sein. Dies kann zu vielerlei Lernschwierigkeiten führen, die von der Aufnahme der Information, über deren Verarbeitung, Abspeicherung bis hin zum Abrufen bereits Gelerntem alle Bereiche betreffen können.

Zum Beispiel kann Ihr Kind mit FASD Probleme in der Verarbeitung von akustischen oder visuellen Informationen haben. Daher kann es hilfreich sein, Lerninhalte in verschiedenen sensorischen Modalitäten anzubieten, z.B. akustisch, visuell oder haptisch. Manche Kinder lernen am besten, wenn sie etwas lesen oder als Bilder/Diagramme sehen (visueller Lerntyp), andere lernen besser, wenn sie etwas hören oder nachsprechen (auditiver Lerntyp), andere lernen am besten, wenn sie etwas anfassen/ertasten können (haptischer Lerntyp). Probieren Sie gemeinsam mit Ihrem Kind aus, was ihm am meisten hilft, ggfs. ist auch eine Kombination der verschiedenen Modalitäten für Ihr Kind geeignet.

Neben der Reizverarbeitung können auch andere für das Lernen wichtige Gehirnfunktionen beeinträchtigt sein. Kinder mit FASD können zum Beispiel Probleme mit dem Leseverständnis, dem Transfer von Gelerntem, dem Ursache-Wirkungsverständnis oder dem abstrakten Denken haben. Auch Gedächtnisdefizite und Schwierigkeiten beim Abruf von bereits Gelerntem sind häufige Probleme von Kindern mit FASD. Oft beschreiben Kinder mit FASD, dass sie sich an Dinge, die sie am Vortag noch problemlos aufsagen konnten, am nächsten Tag plötzlich gar nicht mehr erinnern können. Dieses plötzliche Vergessen wird leider häufig von Lehrkräften als Faulheit, als Bockigkeit oder Provokation fehlinterpretiert. Zusätzlich erschweren oft Probleme in den Bereichen Konzentration und Aufmerksamkeit das Lernen.

Welchen Einfluss hat die Lernumgebung?

Kinder mit FASD haben häufig Probleme in der Aufnahme und Verarbeitung von Reizen. Während gesunde Kinder Störfaktoren (z.B. Hintergrundlaute, flackerndes Licht, unruhige Klassenkameraden etc.) einfacher ausblenden können, liegt bei Kindern mit FASD häufig eine Überempfindlichkeit gegenüber solchen irrelevanten Reizen vor. Daher ist es sowohl im Klassenzimmer als auch am häuslichen Arbeitsplatz wichtig, die Umgebung so reizarm wie möglich zu halten. Auf dem Tisch sollte nur liegen, was für die Bearbeitung der aktuellen Aufgabe notwendig ist, zum Beispiel das Arbeitsblatt und ein gespitzter Stift. Vielen Kindern mit FASD hilft es zusätzlich, das Arbeitsblatt bis auf die aktuelle Aufgabe abzudecken, zum Beispiel mit einem leeren Blatt. Falls sich Hintergrundgeräusche nicht vermeiden lassen, können Sie Noise-Cancelling Kopfhörer sowohl zuhause als auch in der Schule einsetzen. Im Klassenzimmer kann es außerdem helfen, das Kind mit FASD in einen eher ruhigen Bereich zu setzen oder bei Bedarf eine Buchstütze zum Nachbarn als Sichtschutz aufzustellen. Eine geringe Klassenstärke oder das Arbeiten in Kleingruppen ist meist von Vorteil.

Wie kann ich mein Kind mit FASD beim Erledigen der Hausaufgaben unterstützen?

Kinder mit FASD profitieren von klaren Strukturen und vorhersehbaren Abläufen.

Häufig ist es hilfreich, mit dem Kind einen Hausaufgaben-Ablaufplan zu erstellen. In diesem können Sie kleinschrittig konkrete Arbeitsschritte, ggf. mit Bildern, für die Erledigung der Hausaufgaben mit Ihrem Kind erarbeiten. Dies können Sie in Form einer Checkliste oder eines Hausaufgaben-Parcours gestalten, sodass Ihr Kind die einzelnen Schritte selbst abhaken bzw. die Spielfigur eine Position im Parcours weiter setzen kann. Da Kinder mit FASD häufig nicht oder zu spät wahrnehmen, wann sie eine Pause brauchen, empfehlen wir außer Arbeitszeiten auch Pausenzeiten und/oder Bewegungseinheiten fest einzuplanen. Viele Kinder mit FASD haben Schwierigkeiten, sich die Bearbeitungszeit einer Aufgabe einzuteilen. In diesem Fall können bestimmte Signale vereinbart werden, die den Wechsel zum nächsten Arbeitsschritt einläuten, z.B. bestimmte Töne, Timer, die Verwendung einer Sanduhr oder eines Bildes einer auf eine bestimmte Uhrzeit eingestellten analogen Uhr. Welche Arbeitsmaterialen zum Bearbeiten der einzelnen Schulfächer/Aufgaben benötigt werden, können Sie zum Beispiel in Form einer Liste, Tabelle oder als Bildkarten darstellen.

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Pflege und Adoptivmutter GM:

Menschen mit FASD können lernen, benötigen nur Ansprache über mehrere Kanäle und die Ansprache mehrerer Sinne. Zahlen kann man z.B. malen, springen, nachgehen, singen, klatschen, gebärden etc. Trotz alle dem kann erlerntes vergessen werden. Dieses kann auch nach Jahren passieren, z.B. Zähneputzen: morgens als 17-jährige noch gekonnt, abends nicht mal mehr die eigene Zahnbürste erkannt. Hier Geduld bewahren und den Lerninhalt neu vermitteln.

 

Pflegeschwester SH:

Da Geschwisterkinder im Regelfall keinen Erziehungsauftrag haben, können sie das Lernen des Kindes mit FASD entspannter betrachten als ihre Eltern. Das Kind mit FASD benötigt mehr Zeit, um einen Sachverhalt zu verstehen und zu verinnerlichen. Der Erklärende muss wissen, dass auch scheinbar Verinnerlichtes plötzlich nicht mehr abrufbar ist. Ein typisches Verhalten, mit welchem Geschwisterkinder oft entspannter umgehen können als Eltern, ist das wiederholte Fragen. Eine Frage wird zehn oder zwanzig Mal am Tag gestellt, diskutiert, beantwortet – und diese eine Frage beschäftigt das Kind mit FASD so sehr, dass sich das Ganze über Tage, Wochen und Monate wiederholt. Hier hilft es, sich zu vergegenwärtigen, dass das Kind nicht absichtlich nervt, sondern sich intensiv mit dem für sich wichtigen Thema beschäftigt. Wenn es nach der x-ten Wiederholung der Antwort mal gar nicht mehr geht, hilft zurückfragen: „Was glaubst du, warum das so ist?“ „Weißt du noch, was wir darüber beim letzten Mal gesagt haben? Erzähl doch noch mal…“

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Lina Schwerg M. Sc. Psych., FASD Fachzentrum, Evangelischer Verein Sonnenhof, Berlin

FAQs

Warum tut sich mein Kind bei einfachen Alltagsaufgaben so schwer?

Kinder und Jugendliche mit FASD haben häufig eine Exekutivfunktionsstörung und können daher ihren Alltag nicht oder schwer eigenständig strukturieren. So können sie z.B. nicht selbstständig auf Körperhygiene achten, sich ankleiden, Ordnung halten oder Aufgaben erledigen. Ohne externe Strukturierungshilfen kann ein großes Chaos im Alltag und eine große Frustration beim Kind mit FASD und auch bei dessen Familienmitgliedern entstehen.

Eltern und andere Bezugspersonen können helfen, indem sie Taktgeber sind, d.h. ganz konkret, dass sie dem Kind bei jeder Handlung oder Aktivität sagen, „jetzt machen wir das“, also eine Aufforderung zu einem einzelnen Handlungsschritt geben, und nicht etwa mehrere auf einmal wie „jetzt machen wir das, dann das und danach das“. Ein Beispiel wäre, dass Sie beim Anziehen sagen: Jetzt erst die Unterhose – jetzt das Unterhemd – jetzt die Hose – jetzt der Pulli usw., dabei warten Sie bei jedem Schritt ab, dass die Handlung durch Ihr Kind korrekt durchgeführt wurde. Die Aufforderung „zieh Dich an“ kann überfordernd sein, da sie mehrere Handlungsschritte beinhaltet, die auch noch in der richtigen Reihenfolge durchgeführt werden müssen.

Welche Hilfestellungen können Eltern und andere Bezugspersonen Kindern und Jugendlichen mit FASD geben, um ihnen die Strukturierung des Alltags zu erleichtern?

Hilfreich können ein Tages- oder Aufgabenplan sein, auf dem das Kind sieht, was als nächstes ansteht und auf dem es die Aufgabe nach Erledigung abhaken kann.

Je mehr Routine Sie in den familiären (und auch schulischen) Alltag etablieren, desto wohler fühlt sich das Kind und desto besser kann es lernen, Alltagsaufgaben zu erledigen.

Falls das Erfüllen einer mehrsequentiellen Handlung z.B. Zähneputzen für das Kind/den Jugendlichen/ die Jugendliche mit FASD schwierig sein sollte, können Bildkarten für jeden einzelnen Handlungsschritt unterstützen. Diese Bildkarten kann man (z.B. auch zusammen mit dem Kind) selbst basteln oder kaufen.

Können Belohnungssysteme Kindern und Jugendlichen mit FASD helfen, ihren Alltag besser zu meistern?

Diese Frage lässt sich leider nicht für alle Kinder und Jugendlichen mit FASD gleichermaßen beantworten, da der Effekt von Belohnungssystemen sehr unterschiedlich wirksam ist. Probieren Sie es aus und nehmen Sie sich für diesen Versuch einige Wochen Zeit, da sich Ihr Kind daran gewöhnen muss.

Wichtig ist ganz allgemein: das menschliche Gehirn kann durch Belohnung erwünschtes Verhalten viel besser lernen als durch Bestrafung!

Achten Sie darauf, dass Sie auf unerwünschtes Verhalten nicht mit hoher Aufmerksamkeit, starker Emotion (wie lautes Schimpfen) oder 1:1 Beschäftigung mit dem Kind reagieren. Unterbinden Sie stattdessen sachlich und sofort das unerwünschte Verhalten. Ansonsten können Sie versehentlich das unerwünschte Verhalten bei Ihrem Kind verstärken.

Bei erwünschtem Verhalten sollten Sie mit sehr viel Aufmerksamkeit und Lob, und zwar sofort und immer wieder, reagieren!

Wenn Sie ein Belohnungssystem erproben möchten, achten Sie darauf, dass die Belohnung für das Kind attraktiv ist und bei positivem Verhalten oder Aufgabenerledigung immer sofort erfolgt – eine kumulierte Belohnung (mit zeitlicher Verzögerung z.B. Sterne sammeln und am Monatsende gibt es die Belohnung) ist meist nicht effektiv.

Erarbeiten Sie die Neu-Einführung von Belohnungssystemen und anderen Hilfsmitteln auf jeden Fall mit Ihrem Kind zusammen – dann sind die Erfolgschancen, dass diese angewandt und akzeptiert werden, deutlich höher.

Wenn besondere Aktivitäten bevorstehen, wie z.B. Besuch, Geburtstagsfeier, Verreisen o.ä., ist mein Kind mit FASD häufig vom Verhalten her sehr schwierig, obwohl es doch positive Aktivitäten sind. Woran liegt das?

Kinder und Jugendliche mit FASD haben sehr häufig Exekutivfunktionsstörungen. Das bedeutet zum Beispiel, dass sie Schwierigkeiten haben, Ursache-Wirkungs-Zusammenhänge zu erkennen, Handlungen zu planen und Gelerntes von einer Situation oder Person auf eine neue Situation oder Person zu übertragen. Bereits im normalen Alltag stellt das Erledigen von Alltagsaufgaben und sozialer Interaktion für Kinder und Jugendliche mit FASD eine große Anstrengung und Herausforderung dar. Dies konnte in funktionellen MRT-Studien (Magnetresonanztomographie = Kernspin) bestätigt werden: während gesunde Kinder für eine Aufgabe nur einen Bereich des Gehirns aktivierten, mussten Kinder mit FASD mehrere Gehirnareale nutzen, um die Aufgabe zu erfüllen. Dies ist die Begründung dafür, warum Kinder und Jugendliche mit FASD mit neuen Situationen und Personen schwieriger zurechtkommen.

Was kann man also tun?

Versuchen Sie im Alltag, eine immer gleiche Tages-Routine einzuhalten. Dadurch geben Sie Ihrem Kind Halt und beugen Überforderung vor.

Bei „neuen“ Unternehmungen sollten Sie Ihr Kind vorbereiten, indem sie ihm sagen, was wann konkret passiert (evtl. auch mit Visualisierungshilfe). Seien Sie sehr sensibel für die Notwendigkeit von Pausen oder Auszeiten für Ihr Kind während der Unternehmungen – auch positive Erlebnisse können zu einem erhöhten Erregungsniveau und zu emotionaler Überforderung führen. Reagieren Sie auf diese Erkenntnis aber nicht damit, dass Sie Unternehmungen mit Ihrem Kind aus dem Weg gehen, sondern gestalten Sie diese angepasst an das Verarbeitungsvermögen Ihres Kindes – dann werden Sie eine positive gemeinsame Zeit erleben.

Wie kann man dazu beitragen, dass Kinder und Jugendliche mit FASD die Zeit besser einschätzen und einteilen können?

Kinder und Jugendliche mit FASD haben im Vergleich zu Gleichaltrigen häufig Schwierigkeiten Zeitspannen einzuschätzen und vereinbarte Zeiten einzuhalten. Ob es sich um die Erledigung von Hausaufgaben oder um das pünktliche Nachhausekommen handelt, es läuft oft schief. Sie können als Eltern und Bezugspersonen unterstützen, indem Sie mit dem Kind zusammen z.B. einen Plan erarbeiten, wann Arbeitszeiten und Pausenzeiten sind. Diese können Sie dann mit der Eieruhr oder mit Timern visualisieren und mit Tönen akustisch verstärken. Auch digitale Ampeln können z.B. beim pünktlichen Nachhausekommen helfen.

Warum lässt man die Kinder/Jugendlichen mit FASD nicht „einfach mal auf die Nase fallen“, damit sie aus ihren Fehlern lernen?

Aufgrund der intrauterinen Alkoholexposition ist die Gehirnentwicklung des Kindes mit FASD deutlich beeinträchtigt. Davon betroffen sind z.B. auch der Präfrontalcortex, das Kleinhirn und der Hippocampus. Daher haben Kinder mit FASD Exekutivfunktions-, Aufmerksamkeits-, Gedächtnis- und/oder Verhaltensstörungen. Aufgrund dessen können sie nicht wie gesunde Kinder spontan aus Fehlern lernen, sondern benötigen für das Verständnis der Situation und ihrer Fehler sowie zur Verhaltensänderung externe Hilfen.

Die effektivste Hilfe ist, dass man komplexe Situationen und Zustände, die das Kind mit FASD überfordern, proaktiv vermeidet oder währenddessen intensive Unterstützung leistet. Durch Überforderung gelangt das Kind mit FASD in einen Frustrationszustand und reagiert häufig aufgrund seiner emotionalen Regulationseinschränkung mit unerwünschtem Verhalten. Dies wiederum hat negatives Feedback der Bezugspersonen zur Folge, die das Kind aber in seiner Überforderung nicht versteht und daher auch nicht adäquat sein Verhalten anpassen kann. Die Konsequenz ist erneute Frustration und negative Reaktion des Kindes – ein Teufelskreis entsteht. Das Ergebnis ist, dass das Kind am Boden zerstört ist, die Eltern enttäuscht und die anderen Bezugspersonen sauer sind. Durch kleinschrittiges Vorgehen mit direktem Feedback an das Kind, durch Wählen von Situationen und Aufgaben mit wahrscheinlichem Erfolgserlebnis des Kindes und durch das Zurückschrauben Ihrer Erwartungshaltung können Sie sich und dem Kind den Alltag deutlich erleichtern und schöne gemeinsame Zeiten erleben.

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Pflege und Adoptivmutter KL:

Meine Erfahrung als Mutter ist, dass als Strukturierung im Alltag, gerade beim Anziehen, eine Fotostrecke hilfreich sein kann. Man fotografiert das Kind als erstes vollständig bekleidet, dann jedes Mal, wenn ein Kleidungsstück ausgezogen wurde, bis hin zur Unterhose. Diese Fotos ausdrucken, laminieren und zusammenheften, am besten mit Ringen. So sieht das Kind sich selbst und erkennt: ich muss jetzt mein Shirt ausziehen usw. Zum Anziehen wird dann einfach von der anderen Seite geblättert. Und noch ein Tipp: die Kleidung für den nächsten Tag schon am Abend vorher aussuchen und in der Reihenfolge des Anziehens bereitlegen: also von oben nach unten Unterhemd, Unterhose, Socken, Hose oder Rock, Shirt. Wichtig ist allerdings mit dem Kind zu üben, dass vor dem Anziehen der Schlafanzug ausgezogen werden muss.

Es ist wichtig, zu loben, aber Vorsicht: manche Kinder reagieren auf sehr viel Lob bzw. sehr viel Aufmerksamkeit sehr schnell mit unerwünschtem Verhalten, weil sie mit sehr viel Aufmerksamkeit und Lob nicht umgehen können (ja, auch wenn die Kinder schon aus dem Krankenhaus direkt nach der Geburt in die Familie kamen und also eigentlich keine negativen Erfahrungen gemacht haben). Lieber ein herzliches „Gut gemacht!“ und eine Umarmung oder so, das bringt oft viel mehr.

Hinsichtlich des mangelnden Gefühls für Zeit habe ich bei meinen Kindern mit FASD die Erfahrung gemacht, dass es keinen Sinn macht, Wörter wie gleich, dann, später zu verwenden, weil diese Wörter zu diffus sind. Konkrete Zeitangaben wie z.B. „In 10 Minuten musst Du Dich anziehen“ oder „Du darfst noch 15 Minuten (nicht: eine viertel Stunde!) spielen“ sind hilfreicher. Diese Zeitvorgaben müssen aber auch eingehalten werden. So besteht die Möglichkeit, dass die Kinder ein gewisses Zeitgefühl entwickeln (erfolgreich erprobt an 3 Kindern).

 

Pflege- und Adoptivmutter GM:

Die Struktur im Alltag regelt das Zusammenleben der Familien. Menschen mit FASD sind orientierungslos im Alltag, weil sie sich nicht gut motivieren und strukturieren können. Struktur ist der Kleber der den Alltag der Menschen mit FASD zusammenhält. Wiederholungen stetig helfen auch den Alltag zu strukturieren und kann auch die Transition erleichtern.

 

Pflegeschwester SH:

Struktur im Alltag ist wichtig, ich selbst bin aber immer auch ein Freund davon, Fünfe gerade sein zu lassen. Im Umgang mit Menschen mit FASD ist es die Mischung, auf die es ankommt. Die Struktur, das sind in unserer Familie klare Ankerpunkte und Regeln, die nicht diskutabel sind. Sie stehen fest, ohne Wenn und Aber. Z.B. nach dem morgendlichen Aufstehen werden die Zähne geputzt, Haare gekämmt und wir ziehen uns an. Das ist morgendliche verlässliche Struktur. Hat das Kind morgens vor der Schule keinen Appetit, muss es nichts essen, sondern bekommt eben etwas mehr Essen mit in die Schule (unsere Kinder werden teilweise ab 6:30 abgeholt, da muss man nun wirklich noch keinen Hunger haben). Letzteres ist dann diskutabel. Mittags geht es weiter: Die Struktur ist: Es gibt Mittagessen und wir essen gemeinsam. Nicht zu diskutieren. Diskutabel ist aber, dass das Kind auch mal aufstehen darf, weil wir den Bewegungsdrang unserer Kids kennen. Diskutabel ist auch, ob aufgegessen wird oder nicht. Nicht diskutabel ist: Es wird alles, was zum jeweiligen Zeitpunkt noch unbekannt ist, einmal probiert. Die Probiergröße kann das Kind selbst wählen. Mag es ein Lebensmittel oder Gericht nicht, ist das wiederum in Ordnung.

Im Alltag gibt es dann weitere, individuelle Regelungen, je nachdem, wie verantwortungsbewusst und reif das Kind mit FASD ist oder eben nicht. Meine jüngste Schwester hat mit 8 Jahren absolut kein Gefahrenbewusstsein und darf daher noch nicht alleine zum nahegelegenen Spielplatz. Da ist die vorgegebene Regelung etwas enger, als bei einem Kind, welches z.B. an einer Ampel stehenbleibt.

Meiner Erfahrung nach haben meine Geschwister mit FASD auch ganz unterschiedliche Ansprüche an eine Struktur. Das eine Kind braucht sehr strenge Regeln und klare Grenzen, um sich wohlzufühlen. Das nächste braucht kaum Regeln, weil es sich sowieso am liebsten zurückzieht und aus Erwachsenensicht keinen Blödsinn macht, sondern einfach nur spielt und Pflichten, wie z.B. Hausaufgaben oder dem Kümmern um ein Haustier, eigenständig nachkommt. Beim wieder nächsten muss man hingegen bei Pflichtaufgaben eine Struktur vorgeben, z.B. nach der Schule erst direkt die Hausaufgaben gemeinsam machen, dann Freizeit. Das erspart viel Stress und Diskussion. Auch hier gilt: Die Struktur muss zur Familie und zum Kind mit FASD passen, keine Regel passt für alle gleichermaßen.

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Dipl. Soz.-Päd. (FH) Jana Goette, Deutsches FASD KOMPETENZZENTRUM Bayern, LMU Klinikum München

FAQs

Warum kann mein Kind so schwer Freundschaften schließen?

Kinder mit FASD können oftmals Gefühle bei sich selbst und bei anderen schwerer wahrnehmen und verarbeiten. Dies kann dazu führen, dass sie ihr Verhalten nicht an das Gegenüber anpassen können und die wechselseitige Interaktion misslingt. Andere Kinder sind von diesem Verhalten des Kindes mit FASD überfordert, fühlen sich eventuell verunsichert und meiden den Kontakt. Außerdem können Kinder oder Jugendliche mit FASD sehr suggestibel sein, d.h. sie tun Dinge, die andere von Ihnen verlangen, ohne über die Handlung an sich und über deren Folgen nachzudenken. Auch damit ecken sie an, werden nicht ernst genommen, werden benutzt, eventuell sogar gemobbt.

Sie können Ihrem Kind mit FASD helfen, Sozialkontakte herzustellen und auch zu halten, indem sie den „Übersetzer“ der sozialen Interaktion spielen. Bereiten Sie Ihr Kind gut auf soziale Situationen vor und strukturieren Sie gemeinsames Spiel mit einem Gleichaltrigen z.B. dadurch, dass Sie regulierend die soziale Wechselseitigkeit betonen „jetzt bist Du dran“, „jetzt ist das andere Kind dran“. Suchen Sie für Ihr Kind Spielgefährten, die die gleichen Interessen haben wie Ihr Kind, damit Ihr Kind seine Stärken ausleben und auch gegenüber dem Gleichaltrigen präsentieren und damit Erfolgserlebnisse im sozialen Miteinander erleben kann.

Mein Kind geht vorbehaltlos auf fremde Menschen zu, setzt sich auf deren Schoß und würde auch einfach mitgehen. Was kann ich tun, um mein Kind vor Gefahren zu schützen?

Aufgrund ihrer Exekutivfunktionsstörung können Kinder und Jugendliche mit FASD häufig die Konsequenzen ihrer eigenen Handlungen nicht abschätzen. Sie sind daher sehr vertrauensselig und tun ohne Nachdenken, was andere von ihnen fordern. Auch sind sie häufig extrem bemüht um die Aufmerksamkeit und das Lob anderer Menschen – sie wollen es gut und auch jedem recht machen. Dies führt dazu, dass sie sich distanzgemindert verhalten, insbesondere bei Menschen, die ihnen auf irgendeine Weise gefallen oder die freundlich zu ihnen sind. Dass diese Freundlichkeit oberflächlich oder nur gespielt sein könnte, können sie nicht wahrhaben und begeben sich damit in gefährliche Situationen.

Versuchen Sie Ihr Kind immer wieder darauf aufmerksam zu machen, dass es schön und richtig ist, offen auf andere Menschen zuzugehen. Versuchen Sie im gleichen Zug jedoch zu vermitteln, dass es Unterschiede zwischen den Menschen gibt: diejenigen, die zur Familie gehören, diejenigen, die Freunde sind, diejenigen die Betreuungspersonen in KiTa, Schule o.ä. sind, und Fremde. Legen Sie fest, welches Nähe-Distanz-Verhalten gegenüber den verschiedenen Menschengruppen angemessen ist und üben Sie diese in täglichen Situationen mit Ihrem Kind – bei Familienunternehmungen, beim Einkaufen im Supermarkt und beim Spielen mit anderen Kindern etc. Betonen Sie immer wieder, dass das Kind nicht ohne Ihre Erlaubnis mit anderen Menschen mitgehen darf. Bei angemessenem Verhalten Ihres Kindes loben Sie es konsequent und nehmen Erfolge in der sozialen Interaktion nicht als selbstverständlich – es ist harte Arbeit für Ihr Kind mit FASD.

Mein Kind mit FASD ist bereits im Jugendalter und gerät häufig in ungute Situationen, was kann ich tun?

Jugendliche mit FASD gelangen aufgrund ihrer Schwierigkeiten vorausschauend zu planen und aufgrund ihrer Suggestibilität, oft in gefährliche Situationen: sei es, dass sie von Älteren ausgenutzt oder sogar missbraucht werden, sei es, dass sie bei delinquenten Taten „mitmachen“. Auch hier gilt: versuchen Sie, ein soziales Netz zu spannen, dass Ihrem Kind geschützte Sozialkontakte ermöglicht. Geben Sie Ihrer/Ihrem Jugendlichen ein Handy mit, damit er/sie Sie in gefährlichen Situationen telefonisch erreichen kann. Treffen Sie klare Vereinbarungen mit dem Jugendlichen, wann er sich wo aufhalten darf und wann er zuhause zu sein hat, inkl. z.B. Weckerfunktion im Handy. Mit dem FASD Pass (über die Patientenvertretung FASD Deutschland e.V. erhältlich), den das Kind immer bei sich trägt, kann dem Kind in Extremsituationen durch die darauf notierte Notfall-Telefonnummer geholfen werden. Den Einsatz des FASD Passes sollten Sie mit Ihrem Kind vorher intensiv geübt haben. Die Balance zwischen Kontrolle und Unterstützung einerseits und Gewährleistung der Autonomie-Entwicklung des Jugendlichen andererseits ist schwierig. Wenn Sie sich unsicher darüber sind, holen Sie sich Hilfe bei FASD erfahrenen Professionellen.

Ich liebe mein Kind, aber es treibt mich zum Teil in den Wahnsinn, weil meine Erziehungsmaßnahmen trotz viel Liebe, Geduld und Konsequenz nichts bringen. Wo finde ich Unterstützung für meine Familie?

Ihr Kind hat eine alkoholtoxische Gehirnschädigung. Das bedeutet, dass dem Gehirn Ihres Kindes Netzwerkverbindungen fehlen, die man dazu benötigt, Situationen zu verstehen, daraus zu lernen, das soziale Gegenüber zu „deuten“, eigene Handlungen zu planen, zu überdenken und korrekt auszuführen u.a.m. Der erste wichtige Punkt ist also: Sie sind nicht schuld! Sie haben nicht in Ihrer Erziehung versagt! Ihr Kind ist auch nicht schuld, sondern krank und benötigt Hilfe. Ihr Kind treibt Sie nicht absichtlich in den Wahnsinn, es kann nur einfach nicht anders agieren, weil das kranke Gehirn nicht dazu fähig ist, in ausreichendem Maße zu regulieren und zu reflektieren. Das heißt nicht, dass Ihr Kind keine Bindung zu Ihnen aufbaut und sich nicht geborgen bei Ihnen fühlt.

Wegen der Komplexität der Erkrankung FASD, die einen so großen Einfluss auf die Alltagsfunktionen des Kindes hat, benötigen viele Kinder mit FASD professionelle Unterstützung – zusätzlich zu Ihrer phantastischen Leistung als Eltern. Dazu gehören spezifische Therapien für Ihr Kind (z.B. Ergotherapie, Psychotherapie oder medikamentöse Therapie), aber auch individuelle 1:1 Unterstützungen z.B. Inklusions- oder Schulbegleiter. Da das Kind sich in einem familiären Umfeld bewegt, benötigt aber nicht nur Ihr Kind allein, sondern zusätzlich auch Ihre Familie bzw. Sie als Eltern häufig professionelle Unterstützung z.B. durch eine Erziehungsberatungsstelle oder eine sozialpädagogische Familienhilfe. Sehen Sie Ihren Hilferuf an familienexterne HelferInnen nicht als Ihr Erziehungsversagen an – Ihr Kind braucht einfach zusätzlich Profis!

Befreundete Eltern haben mir gesagt, dass ich auf keinen Fall einen Schulbegleiter beantragen soll, damit mein Kind mit FASD keine Außenseiterrolle in der Klasse bekommt – stimmt das?

Ein/e SchulbegleiterIn ist eine zusätzliche erwachsene Person im Klassenraum – und das kann je nach Schule etwas Besonderes sein. Machen Sie sich aber klar: auch Ihr Kind ist durch seine Erkrankung etwas Besonderes. Es benötigt aufgrund seiner Gehirnschädigung Unterstützung, um überhaupt im Klassenkontext mit den Gleichaltrigen mitzuhalten und positiv zu interagieren sowie gemäß seinen Grundvoraussetzungen zu lernen. Ohne Unterstützung kann es seine geistigen Kapazitäten und sozialen Fertigkeiten eventuell gar nicht ausschöpfen. Dadurch stagniert das Lernen, das Kind erlebt ständige Misserfolge und negatives Feedback von anderen. Und dies wiederum führt zu hoher Frustration beim Kind („ich wollte immer alles richtigmachen, aber es war nie ausreichend“), zum sozialen Rückzug, zu ausfälligem Verhalten und Lernverweigerung.

Das heißt: 1) wägen Sie gründlich ab, was für individuelle Vor- und Nachteile Integrationshelfende bei Ihrem Kind haben können, 2) beraten Sie sich mit Fachpersonen, die die Stärken und Schwächen Ihres Kindes kennen (z.B. mit betreuendem SPZ, Kinder- und Jugendpsychiatrie, Psychotherapie o.ä.) und 3) gehen Sie in engen Austausch mit den LehrerInnen, um ein gemeinsames Konzept zu entwickeln.

Warum kann sich mein Kind nicht an Regeln halten, überschreitet ständig gesetzte Grenzen und reagiert teils grundlos mit Wutattacken?

Stellen Sie sich die Vernetzung zwischen den beiden Gehirnhälften und auch die Verbindungen zwischen verschiedenen Gehirnbereichen vor: beim gesunden Kind und Jugendlichen sind diese Verbindungen oder Netzwerke wie Autobahnen, auf denen man schnell und ohne große Anstrengung vorwärtskommt; beim Kind oder Jugendlichen mit FASD sind diese Verbindungen wie Schotterwege: das Fahren darauf ist extrem mühsam, es geht nur langsam voran, vielleicht kommt man auch vom Weg ab oder stürzt. Die Netzwerke im Gehirn benötigt der Mensch für alle möglichen Alltagsaufgaben. Können Sie sich jetzt vorstellen, wie anstrengend der Alltag für Ihr Kind mit FASD ist?

Die meisten unerwünschten Verhaltensweisen von Kindern mit FASD resultieren aus Überforderung oder aus dem Unverständnis oder dem Vergessen der gesetzten Regeln. Bewusstes Fehlverhalten ist bei Kindern mit FASD nicht häufiger als bei gesunden Kindern!

Wichtig ist, dass Sie sich fragen: Welche Erwartungen habe ich eigentlich an mein Kind? Dabei werden Sie bemerken, dass einige Ihrer Erwartungen für ein Kind mit einer Gehirnschädigung zu hoch sind. Dies bewirkt, dass Sie sich als Eltern oder Fachkraft dysfunktional im Denken und Handeln verhalten. Dies führt zu Frustration – bei Ihnen und bei Ihrem Kind. Wenn Sie es schaffen, einen Perspektivwechsel mit Ihrem Kind zu vollziehen, können Sie diese dysfunktionale Strategie in eine funktionale Strategie umwandeln. Das Verständnis für Ihr Kind verbessert sich, Sie passen sich und die Umgebung an die Möglichkeiten Ihres Kindes an und dadurch haben Sie und Ihr Kind mehr Erfolgserlebnisse und gute Zeiten miteinander.

Hier finden Sie einige Beispiele für dysfunktionale und funktionale Strategien im Umgang mit Ihrem Kind.

Gibt es Hilfsmittel, mit denen das impulsive Handeln meines Kindes reguliert werden kann?

Erster Tipp ist die Einhaltung einer möglichst immer gleichen Routine und die extreme konsequente Strukturierung des Alltags- und Familienlebens, um Überforderungen Ihres Kindes vorzubeugen.

Da Kinder mit FASD häufig Schwierigkeiten haben, die Gefühle von sich und anderen wahrzunehmen und sprachlich zu äußern, kann auch eine Emotionsskala helfen – hier der Link zum Download.

Auch die Strategie „Stopp-Nachdenken-Handeln“, die mit dem Kind täglich z.B. mit einem selbstgebastelten Stoppschild aus Pappe geübt wird, kann die Selbstreflektion Ihres Kindes unterstützen. Aber erwarten Sie sich bitte keinen sofortigen und vollumfänglichen Effekt, sondern denken Sie an die unzureichende Vernetzung und Gehirnfunktion Ihres Kindes – ein Kind mit nur einem Bein kann auch nicht sofort Marathon laufen.

Wie vermeide ich Eskalationen meinerseits?

Fragen Sie sich selbst: Welche Erwartungen habe ich an mich selbst als Mutter oder Vater?

Lernen Sie, negative Gefühle, die das Verhalten ihres an FASD erkrankten Kindes bei Ihnen auslöst, zu akzeptieren. Auch Sie sind „nur“ ein Mensch.

Instruieren Sie sich selbst in positivem Sinne. Beispiele hierzu finden Sie hier.

Legen Sie feste Zeiten in der Woche fest, in denen Sie die Verantwortung für Ihr Kind an andere abgeben können und schaffen Sie sich damit Zeit für sich selbst. Auch gemeinsame Zeit mit Ihrer/m PartnerIn ohne Ihr Kind ist für Ihre Stabilität als Mensch und als Elternteil wichtig.

Ihr eigener Zustand als Bezugsperson, Ihre Enttäuschungen, Ihr Ausgelaugtsein, aber eben auch Ihre Stabilität, Ihre Zuneigung, Ihre Akzeptanz und Ihr „Da-Sein“ wird von Ihrem Kind (unterbewusst) sehr sensibel wahrgenommen und kann ihrem Kind ein Gefühl von Unsicherheit und Angst oder aber von Sicherheit und Geborgenheit vermitteln.

Als Hilfsmittel, um Ihre eigenen elterlichen Ressourcen besser einzuschätzen, können Sie die FASD Eltern App (kostenfrei in den Playstores erhältlich) verwenden. Mit der App können Sie täglich das Verhalten Ihres Kindes und Ihre elterlichen Ressourcen anhand von Smiley Skalas beurteilen und einen Eindruck bekommen, wie gut oder nicht so gut der Tag oder die Woche oder der Monat gelaufen sind. Weitere Informationen zur FASD Eltern App finden Sie hier.

Wohin kann ich mich wenden, wenn ich im Umgang mit meinem Kind nicht mehr weiter weiß?

Erarbeiten Sie für sich einen Notfallplan: wen kann ich anrufen, wenn die Situation eskaliert? Wer ist wann erreichbar? Was mache ich, wenn ich so wütend werde, dass ich mein Kind am liebsten „an die Wand schlagen“ würde? Wie schütze ich mich selbst vor ungewollter Gewalt gegenüber meinem Kind und wie schütze ich mein Kind, wenn ich ausraste, weil ich nicht mehr kann?

Überlegen Sie sich, welche Hilfsmittel Ihnen helfen können, wenn Sie merken, dass Sie frustriert sind z.B. Brause essen, kalter Waschlappen ins Gesicht, Tee trinken, Atemübung, Phantasiereisen, auf einen Boxsack schlagen oder ähnliches. Hilfreich können für Sie eventuell auch proaktiv täglich durchgeführte Entspannungsübungen wie progressive Muskelrelaxation nach Jacobsen oder Yoga sein.

Suchen Sie in Krisensituationen Hilfe bei Ihren PartnerInnen oder anderen Familienmitglieder – auch diese haben eine Verantwortung für Ihr Kind. Falls das nicht möglich oder sogar für Sie persönlich kontraproduktiv ist, überlegen Sie im Vorfeld, wer sonst helfen könnte: FreundInnen, Nachbarn oder im Notfall auch das psychiatrische Krisentelefon oder die Polizei. Speichern Sie sich diese persönlichen Notfall-Telefonnummern in Ihr Handy, damit Sie sie mit einem Klick finden können. Machen Sie sich klar, dass Krisensituationen nicht Ihr alleiniges Verschulden sind, sondern dass die von Ihnen angenommene Herausforderung, ein Kind mit alkoholtoxischer Gehirnschädigung zu betreuen, nicht immer klappen kann.

Wenden Sie sich an betreuende ÄrztInnen und PsychologInnen Ihres Kindes, um sich Beratung hinsichtlich Ihres Umganges mit Ihrem Kind mit FASD zu holen. Auch Erziehungs-/Familienberatungsstellen können unterstützen. Einige Eltern benötigen auch psychotherapeutische Hilfe für sich selbst. Unser Tipp: Warten Sie nicht zu lange damit, sich Hilfe zu holen – in welcher Form auch immer. Sie tun damit nicht nur sich selbst, sondern auch Ihrem Kind und Ihrer Familie etwas Gutes.

Bei Fragen oder zur Unterstützung können Sie werktags auch gerne uns im Deutschen FASD KOMPETENZZENTRUM Bayern kontaktieren fasd@med.uni-muenchen.de – wir verstehen FASD, wir verstehen Sie und wir helfen gerne.

Elterninput

Pflege- und Adoptivmutter GM:

Sozialverhalten ist für Menschen mit FASD ein Buch mit 7 Siegeln. Wenn sie kaum Empathie zeigen können, wie können sie sich sozial verhalten. Hier müssen die Bezugspersonen immer wieder wiederholen, wie das ist mit dem Verhalten in den Situationen. Sie müssen lernen mitzufühlen, wie man Kontakt aufnimmt, wie man sich verhält im sozialen Kontext. Dieses ist für die Bezugspersonen eine Mammutaufgabe, wo Ausdauer gefordert ist und keine Frustration, wenn der Mensch mit FASD sich wieder nicht korrekt in der Situation verhält. Manchmal hilft nur Humor.

 

Pflege- und Adoptivmutter KL:

Bei impulsivem Handeln des Kindes kann es helfen, paradox zu reagieren, besonders in immer wiederkehrenden Situationen wie (extremen) Beschimpfungen etc., in denen sich die Bezugspersonen auf Grund der Häufigkeit irgendwie machtlos/hilflos fühlen. Das Kind erwartet bzw. provoziert ja die Reaktion der Bezugsperson. Wenn man nun statt der gewohnten Reaktion (Reflektieren, Sanktionieren etc.) paradox reagiert, nimmt man der Situation u.U. das negative. Beispiel: statt auf die Beschimpfung zu reagieren, sich zum Fenster drehen: Schau mal, was sitzt denn da auf der Wiese? Oder ähnlich. In den meisten Fällen reagiert das Kind darauf und der Stress ist erstmal vorbei. Später kann man dem Kind dann nebenbei sagen: Du, übrigens, ich bin keine blöde Kuh. Allerdings verlangt dieses Handeln den Bezugspersonen viel Kraft ab. Man brodelt noch innerlich, aber das Kind hat den Stress deswegen schon längst vergessen.

Als Bezugsperson ist es wichtig, abends positiv auf den Tag zurückzublicken. Wenn man gemütlich auf dem Sofa sitzt, die Kids im Bett sind: was hat mein Kind heute gut gemacht? Und das muss nichts Großes sein. Vielleicht hat es heute beim Eindecken das Besteck richtig auf den Tisch gelegt. Oder es hat die Schuhe selbständig angezogen. Viele „kleine“ positive Dinge werden im Alltag oft übersehen oder für selbstverständlich genommen, aber für Kinder mit FASD sind sie eine tolle Leistung.

Verständnis und Hilfe kann man auch in Selbsthilfegruppen und Gesprächskreisen bekommen. Hier sitzen alle Teilnehmenden im gleichen Boot. FASD Deutschland e.V. hat neben einer Liste der Selbsthilfegruppen auch eine Liste von Ansprechpartnern auf der Homepage, an die man sich bei Fragen telefonisch und per E-Mail wenden kann.

 

Pflegeschwester SH:

Sozialverhalten ist sicher eines der schwierigsten Themen für Geschwisterkinder. Hat ein gesundes Geschwisterkind eine Schwester oder einen Bruder mit FASD, ist mit besonderen Auffälligkeiten zu rechnen und dem gesunden Kind wird oft extrem viel Rücksichtnahme abverlangt. Dabei spiegelt sich mangelndes Sozialverhalten beim Kind mit FASD, wenn auch unbeabsichtigt, in vielen Alltagssituationen wider. Kindern wird beigebracht, zu teilen. Bietet das gesunde Geschwisterkind z.B. Gummibärchen an, ist es normal, sich ein paar zu nehmen. Ein Kind mit FASD nimmt tendenziell eine Hand voll, ohne Rücksicht. Das ist nicht immer und bei jedem so, aber ein in Variation oft erlebtes Beispiel. Weitergehend zeigen Kinder mit FASD, die selbst besonders gierig erscheinen, kaum den Willen, selbst zu teilen oder etwas abzugeben.

Dann gibt es das genaue Gegenteil. Manche Kinder mit FASD sind so leicht zu beeinflussen, dass sie alles tun, um zu gefallen. Das birgt die Gefahr, dass Kinder mit dieser Eigenschaft mit dem Hinweis auf „lieb sein“ vieles tun, was sie eigentlich nicht wollen und wo sie lernen müssen, Grenzen zu setzen, Nein zu sagen.

Mit beiden Ausprägungen muss man als Geschwisterkind unterschiedlich umgehen. Ist man als Geschwisterkind selbst noch Kind, ist das natürlich schwieriger, weil man sich selbst unfair behandelt fühlt und nicht immer versteht, warum das Kind mit FASD einem etwas wegnimmt oder nicht teilen will. Ist man als Geschwisterkind bereits erwachsen, sollte man vor allem leicht beeinflussbare Persönlichkeiten dahingehend stärken, dass sie sich selbst trauen, auch mal nein zu sagen und dass es okay ist, wenn es das tut, was ihm selbst gefällt. (Hier ist natürlich der Grad der Komplexität zu beachten: z.B. Das Kind darf Mama und Papa „traurig“ machen – nicht dadurch, dass es Blödsinn macht, aber z.B. dadurch, dass es sagt, dass es lieber den grünen Pulli statt des pinken Pullovers anziehen will. Das fühlt sich für ein sehr beeinflussbares Kind bereits danach an, die Eltern / Pflegeeltern zu enttäuschen.)

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Video zu diesem Thema folgt noch

FAQs

Wie kann man eine Aufmerksamkeitsdefizit-Störung mit oder ohne Hyperaktivität (ADHS oder ADS) von einer Fetalen Alkoholspektrumstörung (FASD) unterscheiden?

Die AD(H)S ist eine der häufigsten Symptome bei Kindern und Jugendlichen mit FASD. Kinder mit FASD haben im Vergleich zu Gesunden ein sechsfach erhöhtes Risiko eine ADHS zu entwickeln. Dieses Risiko steigt mit der Höhe der Alkoholexposition im Mutterleib und mit einem niedrigen sozioökonomischen Status.

Expertenschätzungen zufolge erhalten viele Kinder und Jugendliche die alleinige Diagnose AD(H)S, obwohl eine, unerkannte, FASD vorliegt. Das wichtigste Unterscheidungsmerkmal zwischen den beiden Störungen ist, dass Kinder und Jugendliche mit FASD deutlich stärkere Exekutivfunktionsstörungen (z.B. mehrsequentielle Planungsfähigkeit, Erkennen von Ursache-Wirkungs-Zusammenhängen, Transferleistung) aufweisen als PatientInnen mit alleinigem ADHS. Dies zeigt sich dadurch, dass Kinder und Jugendliche mit FASD in mehreren Lebensbereichen den Alltag nicht selbstständig meistern können, vorwiegend aufgrund der Planungsunfähigkeit und eben nicht aufgrund der Aufmerksamkeitsstörung. Weitere Unterscheidungskriterien zwischen FASD+ADHS und „nur“ ADHS können das häufigere Auftreten von IQ-Minderung, Beeinträchtigung des logisch-analytischen Denkens, Sprachverständnisstörung und/oder (aggressiver-antisozialer) Verhaltensstörung bei Kindern und Jugendlichen mit FASD+ADHS sein.

Wie sieht die Therapie der AD(H)S bei Kindern und Jugendlichen mit FASD aus?

Kinder und Jugendliche mit FASD+ADHS werden mit einem ähnlichen Behandlungs-Procedere hinsichtlich ihrer Aufmerksamkeitsstörung therapiert wie Kinder mit „nur“ ADHS. Allerdings ist die Erfahrung einiger ÄrztInnen, dass sich die medikamentöse Therapie bei Kindern und Jugendlichen mit FASD+ADHS schwieriger gestaltet. Der pathophysiologische Grund dafür (andere Verstoffwechslung, andere Neurotransmitterzusammensetzung, Einfluss zerebral-struktureller Anomalien bei FASD) ist nicht abschließend geklärt. Wichtig ist, dass nicht-medikamentöse Therapien wie z.B. Ergotherapie oder Verhaltenstherapie die medikamentöse Therapie begleiten. Argumentation dafür ist, dass durch das verabreichte Medikament das Kind oder der/die Jugendliche in die Lage versetzt wird, von der nicht-medikamentösen Therapie zu profitieren. Durch die nicht-medikamentöse Therapie können dann Lerneffekte erzielt werden, die (unabhängig von der Medikation) längerfristige positive Outcomes begünstigen können. Dabei ist es aufgrund der Exekutivfunktionsstörung bei Kindern und Jugendlichen mit FASD wichtig, die nicht-medikamentösen Therapien an die Voraussetzung der alkoholtoxischen Gehirnschädigung mit all ihren Implikationen anzupassen und zum Gewährleisten eines Therapieerfolgs alltagsnah und entwicklungsadaptiert zu gestalten.

Welche weiteren psychischen Störungen treten häufig gemeinsam mit FASD auf?

Aus der klinischen Erfahrung und internationalen wissenschaftlichen Artikeln kann berichtet werden, dass sehr häufig Verhaltens- und emotionale Störungen bei PatientInnen mit FASD vorliegen. Diese sind jedoch Symptome der FASD und damit keine separaten Störungen (=Komorbiditäten). Als Sekundärerkrankungen sind Angststörung, Depression, Psychose, Substanzmissbrauch, Delinquenz, Opfer von Misshandlung und Suizidalität bei PatientInnen mit FASD häufiger als bei gesunden Menschen. Menschen mit FASD, die in ihrer Kindheit sehr häufige Beziehungswechsel, instabile Beziehungen, mangelnde Zuwendung und Förderung oder beängstigende oder lebensbedrohliche Ereignisse oder Zustände erlebt haben, leiden häufig zusätzlich zur FASD an einer Bindungsstörung und/oder posttraumatischen Belastungsstörung.

Aber es treten doch auch vermehrt somatische Erkrankungen und körperliche Fehlbildungen als Komorbiditäten bei Kindern und Jugendlichen mit FASD auf?

Ja, das ist richtig. Besonders häufige Komorbiditäten von Menschen mit FASD in diesem Bereich sind: Frühgeburtlichkeit und Beeinträchtigung des Sehens und Hörens (mit oder ohne Fehlbildung des jeweiligen Organs). Außerdem können Fehlbildungen des Herzens, der Nieren, der Leber, der Milz, des Skeletts und seltener anderer Organe auftreten. Daraus resultiert einerseits, dass man als professionelle/r DiagnostikerIn bei Vorliegen von Fehlbildungen bei einem Kind auch immer an eine FASD denken sollte und andererseits, dass man als betreuende ÄrztInnen entsprechende Symptome bei PatientInnen mit FASD klinisch abklären und eventuell weiterführende Diagnostik hinsichtlich struktureller oder funktioneller Organstörungen initiieren sollte (z.B. mittels Bildgebung, Labor, Funktionsdiagnostik).

Wie kann man Sekundärerkrankungen bzw. Komorbiditäten verhindern?

Da das Auftreten von Sekundärerkrankungen bei PatientInnen mit FASD von sehr vielen Faktoren abhängen kann, ist diese Frage schwierig zu beantworten. Man weiß aber, dass es protektive Faktoren für den Krankheitsverlauf gibt. Diese sind: frühzeitige Diagnose, stabiles und förderndes Umfeld in der Kindheit und gewaltfreies Aufwachsen. Zur Gewährleistung dieser protektiven Faktoren bedarf es verschiedener Mitspieler: ÄrztInnen, PsychologInnen, PädagogInnen, TherapeutInnen und Eltern sowie andere Bezugspersonen. Für die Fachwelt resultiert daraus, dass für die Betreuung von Kindern und Jugendlichen mit FASD und deren Familien ein möglichst konstantes, FASD erfahrenes, multiprofessionelles Team erforderlich ist. Zusätzlich ist für das Outcome der PatientInnen ein eng geknüpftes, engagiertes, professionelles Netzwerk notwendig, um Hilfen transdisziplinär zu planen, zu koordinieren, zu finanzieren und individuell je nach Entwicklungs- und Krankheitsverlauf und inner- und außerfamiliärem Umfeld anzupassen.

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Pflege- und Adoptivmutter GM:

Komorbiditäten sollte man als Bezugspersonen unbedingt mitberücksichtigen. Viele Komorbiditäten, wie ADHS, Bindungsstörungen, Trauma, Autismus sind zwingend behandlungswürdig. Nur weil eine Diagnostik FASD erfolgt ist, kann man die Komorbiditäten nicht ausschließen aus der Behandlung. Bei Trauma gehört aus meiner Sicht eine an den Menschen mit FASD angepasste, zertifizierte Traumatherapie unbedingt verordnet.

 

Pflegeschwester SH:

Über Komorbiditäten informiert zu sein, hilft dem Geschwisterkind zu verstehen, dass gewisse Handlungen, Reaktionen und Verhalten im Alltag mit einer FASD zusammenhängen. Gerade für jüngere Geschwister kann so vereinfacht erklärt werden „Das kommt durch die FASD“. Allerdings birgt es gleichermaßen die Gefahr, jegliches Verhalten mit dieser Aussage zu entschuldigen. Um dieser Gefahr vorzubeugen, müssen Komorbiditäten nicht nur bekannt sein, sondern auch in Therapien mit behandelt werden.

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Dr. med. Carmen Parisi, Deutsches FASD KOMPETENZZENTRUM Bayern, LMU Klinikum, München

FAQs

Wann ist bei meinem Kind mit FASD eine Medikation sinnvoll?

Eine medikamentöse Behandlung ist bei stark ausgeprägter Störung in den Bereichen Aufmerksamkeit, Konzentration, Impulskontrolle oder Hyperaktivität sinnvoll, wenn durch die Symptomatik die Teilnahme des Kindes am schulischen oder familiären Alltag, an Freizeitaktivitäten, oder der Austausch mit Freunden erheblich beeinträchtigt ist.

Insbesondere wenn sich die Symptomatik trotz pädagogischen, psychotherapeutischen, medizinisch-therapeutischen Maßnahmen nicht bessert, sollte eine medikamentöse Unterstützung in Erwägung gezogen werden.

Die Kinder- und JugendärztInnen oder Kinder- und JugendpsychiaterInnen in der Praxis, im SPZ oder in der Klinik sind die geeigneten AnsprechpartnerInnen für alle Fragen rund um eine Medikation und für das Therapie-Management bei Ihrem Kind.

Besteht die Gefahr einer Abhängigkeit?

Bei eindeutig diagnostizierten Störungen und damit korrekter Indikation für die Medikation besteht bei den meisten eingesetzten Medikamenten (z.B. Stimulanzien, Neuroleptika) keine Gefahr für eine Abhängigkeitsentwicklung. Bitte besprechen Sie Ihre diesbezüglichen Sorgen jedoch immer mit den betreuenden ÄrztInnen.

Was kann man gegen Nebenwirkungen tun?

Nebenwirkungen sind häufig passager. Sollte es zu Nebenwirkungen kommen, muss das Medikament nicht unbedingt abgesetzt werden. Wenn zum Beispiel eine Appetitlosigkeit auftritt, hilft es oft, das Medikament erst nach dem Frühstück einzunehmen. Bei Wachstumsauffälligkeiten könnten Einnahmepausen, z.B. am Wochenende oder in den Ferien zu einer Besserung führen. Bei Schlafstörungen kann man die abendliche Dosis reduzieren oder bei lang wirksamen Präparaten das Medikament so früh nehmen, dass die Wirkung bis zum ins Bett gehen nachgelassen hat.

Wie lange sollte die Behandlung erfolgen?

Es gibt für die ADHS-Medikamente keine Beschränkung der Behandlungsdauer. Allerdings sollten unbedingt in regelmäßigen Abständen Auslassversuche durchgeführt werden, um sicher zu stellen, dass Ihr Kind das Medikament noch benötigt.

Das atypische Neuroleptikum Risperidon ist bei Kindern für eine Behandlungsdauer bis zu sechs Wochen zugelassen, wird aber bei schweren Verhaltensstörungen oft außerhalb der Zulassung länger verschrieben.

Die Notwendigkeit zur Weiterführung der Behandlung sollte bei allem Medikamenten regelmäßig – mindestens alle 6 Monate – ärztlich überprüft werden.

Warum bekommt man Methylphenidat und Lisdexamphetamin/Dexamphetamin nur auf einem Betäubungsmittelrezept?

Diese Medikamente unterliegen wegen Missbrauchspotentials als Aufputschmittel dem Betäubungsmittelgesetz.

Welche ärztliche Überwachung sollte erfolgen (Beispiel Methylphenidat)?

Das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArm) hat einen Verschreibungsleitfaden für Ärzte zur Behandlung der Aufmerksamkeitsdefizit-Hyperaktivitäts-Störung (ADHS) erstellt. Darin wird empfohlen, Blutdruck und Puls sowie das Auftreten/die Verschlechterung vorbestehender psychiatrischer Störungen bei jeder Dosisanpassung und danach mindestens alle 6 Monate und bei jeder Untersuchung zu erfassen. Größe, Gewicht und Appetit sollten mindestens alle 6 Monate erfasst und in ein Wachstumsdiagramm eingetragen werden.

Wir empfehlen außerdem vor Beginn der Therapie die Durchführung eines EEGs, EKGs und einer Blutentnahme mit Differentialblutbild, Elektrolyten, Leber- und Nierenwerten.

Elterninput

Pflege- und Adoptivmutter GM:

Medikamente sind bei vielen Menschen mit FASD überaus hilfreich um sich zu strukturieren, um Schlaf zu bekommen. Häufig benötigen die Menschen mit FASD mehr Medis, wie normal benötigt, weil der Stoffwechsel ein anderer ist.

 

Pflege- und Adoptivmutter KL:

Wenn ärztlicherseits Medikation für das Kind empfohlen wird, sollte man dies nicht grundsätzlich ablehnen („Ich stopfe mein Kind nicht mit Chemie voll!“). Wir haben auch lange gedacht, es geht doch ohne. Bis uns unsere damalige Kinderärztin (Spezialistin für ADHS) fragte: „Wollt ihr eurem Kind wirklich die Chance nehmen, lernen zu können?“. Daraufhin haben wir nach kurzer Bedenkzeit zugestimmt, es zumindest zu probieren. Man darf keine Wunder erwarten, und auch bei uns ging der erste Versuch schief (zu kurze Wirkdauer, langer rebound). Nach einer Pause starteten wir den 2. Versuch, nun mit einem anderen Medikament. Und schon am ersten Tag sahen und merkten wir die positive Wirkung: unsere Tochter (FAS und ADHS) konnte viel länger sitzen bleiben, sich viel länger konzentrieren, sie war ausgeglichener, weil sie Außenreize besser filtern konnte usw. Natürlich war sie nicht plötzlich gesund; auch mit Medikation wandelt sich kein IQ 68 in einen IQ 95 😉. Aber sie konnte und kann viel besser im Alltag bestehen. Aus dieser Erfahrung stimmten wir der Medikation bei unseren beiden Jungs (FAS, Asperger und FAS, PTBS) sofort zu.

 

Pflegeschwester SH::

Medikamentöse Behandlung halte ich unter gewissen Umständen für sinnvoll. Ich bin dagegen, Kinder ruhigzustellen, wenn sie aufgrund ihres FASDs oder aufgrund von Komorbiditäten schlicht hibbelig sind. Wenn jedoch ein Medikament verabreicht wird und das Kind selbst kommuniziert, dass es ihm durch die Einnahme besser geht, kann ich medikamentöse Behandlung befürworten. Insbesondere befürworte ich sie, wenn sie hilft, Gewaltausbrüche sowie Selbst- und Fremdgefährdungen zu reduzieren.

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Dipl.-Psych. Gela Becker, FASD Fachzentrum, Evangelischer Verein Sonnenhof, Berlin

FAQs

Welche nicht-medikamentösen Therapien kommen für mein Kind mit FASD in Frage und welche Symptome/Schwierigkeiten können damit behandelt werden?

Da Kinder mit einer Fetalen Alkoholspektrumstörung sehr verschiedene Schwierigkeiten im schulischen und privaten Alltag sowie in der Entwicklung zeigen können, brauchen sie individuell für sie ausgewählt Therapien. Auch das Alter des Kindes spielt bei der Auswahl der Therapie eine Rolle.

Welche Therapie Ihrem Kind helfen kann, besprechen Sie am besten mit Ihrem/Ihrer Kinder- und JugendärztIn, KinderneurologIn oder Kinder- und JugendpsychiaterIn oder mit Ihrem Sozialpädiatrischen Zentrum. Eine kausale Therapie für FASD, d.h. eine Heilung, gibt es leider nicht. In den meisten Fällen werden Krankengymnastik/Physiotherapie, Heilpädagogik, Ergotherapie, Sprachtherapie/Logopädie oder Psychotherapie verschrieben.

Physiotherapie empfehlen wir meist für Säuglinge und Kleinkinder. Durch diese Therapieform kann die Beweglichkeit verbessert und die Entwicklung (vor allem die motorische) positiv beeinflusst werden. In Frage kommt dies zum Beispiel bei Kindern, die einen schwachen Muskeltonus haben oder Schwierigkeiten, die motorischen Meilensteine (z.B. Sitzen, Stehen, Laufen) zu erlernen. Erfahrene PhysiotherapeutInnen beraten Sie als Eltern auch bezüglich möglicher Hilfsmittel oder Hilfestellungen, die im häuslichen Umfeld angewendet werden können.

Heilpädagogik empfehlen wir ab dem Kleinkindalter. Behandlungsschwerpunkte können dabei Wahrnehmungsförderung und Entwicklungsförderung in verschiedensten Bereichen (z.B. Sozial- und Spielverhalten sowie Kognition) sein. Ziele sind unter anderem die Stärkung vorhandener Fähigkeiten und die Förderung von Eigenständigkeit und Gemeinschaftsfähigkeit der Kinder. Außerhalb der Einzeltherapiestunden kann die heilpädagogische Förderung auch in Form von heilpädagogischen Kindertagesstätten, Förderzentren oder Horts erfolgen.

Ergotherapie empfehlen wir meist ab dem Kleinkindalter für Kinder mit FASD, die in ihrer Planungsfähigkeit eingeschränkt sind und Schwierigkeiten bei alltäglichen Aufgaben haben. Ziel ist es, die Selbständigkeit, Handlungsfähigkeit und Teilhabe der betroffenen Kinder zu erhöhen, sodass der Alltag im Familienleben sowie in Kindergarten, Schule und Freizeit besser bewältigt werden kann. In der Ergotherapie können Kinder mit FASD individuell benötigte Fähigkeiten trainieren, um Handlungsschritte selbstständig zu organisieren und in den Alltag zu übertragen (z.B. wird das Reißverschluss schließen geübt, um das selbständige Anziehen der Jacke im Kindergarten zu unterstützen). Dabei werden bereits vorhandene Strategien genutzt, bewusst gemacht und neue, geeignete Verhaltensstrategien sowie Transfer-Fähigkeiten erarbeitet. Außerdem empfehlen wir Ergotherapie bei Kindern und Jugendlichen mit FASD, die eine Aufmerksamkeitsstörung mit oder ohne Hyperaktivität haben. Auch hier werden alltagsnahe Strategien für die Schule, für zuhause und für das soziale Miteinander erlernt.

Sprachtherapie/Logopädie empfehlen wir ab dem Kleinkindalter, falls Auffälligkeiten in der Mundmotorik oder Sprachentwicklung vorliegen.

Psychotherapie empfehlen wir je nach kognitivem Entwicklungsstand der Kinder meist ab dem (Vor-) Schulalter. Behandlungsschwerpunkte können zum Beispiel Auffälligkeiten im Sozialverhalten und in der Selbstregulation sein, die zu aggressivem und impulsivem Verhalten der Kinder führen. Aber auch bei einer traumatisierenden Vorgeschichte des Kindes mit Gewalterfahrung oder Beziehungsabbrüchen, sowie bei rückzüglich-depressivem Verhalten z.B. gegenüber Gleichaltrigen, kann eine Psychotherapie für das Kind hilfreich sein. Auch bei Störungen der Konzentration mit und ohne Hyperaktivität können verhaltenstherapeutische Maßnahmen effektiv sein. Da PatientInnen mit FASD im Laufe ihres Lebens ein erhöhtes Risiko für psychiatrische Komorbiditäten haben, kann auch im Jugend- und Erwachsenenalter eine Psychotherapie notwendig sein.

Wie viele Therapietermine pro Woche sind sinnvoll?

Wir empfehlen, genau abzuwägen, welche Therapie zu welchem Zeitpunkt am besten für Ihr Kind geeignet ist. Ihr Kind sollte auch mal „einfach nur Kind sein“ dürfen und (ungeplante) Freizeit oder Ferien haben. Wie viele Therapieeinheiten pro Kind sinnvoll sind, ist individuell verschieden – wir empfehlen nicht mehr als eine Einheit pro Tag und nicht mehr als zwei Einheiten pro Woche. Eine Überforderung des Kindes durch zu viele Therapien kann dazu führen, dass neu Gelerntes nicht mehr abgespeichert oder abgerufen werden kann oder das Kind sich zunehmend verweigert. Dann ist das meist gut gemeinte hohe Ausmaß an Förderung eher kontraproduktiv. Manchmal kann es auch sinnvoll sein, bereits etablierte Therapien eine Weile zu pausieren, falls bestimmte Schwierigkeiten aktuell dringlicher behandelt werden sollten (z.B. Förderung der Graphomotorik eines Vorschulkindes, damit es in der Schule schreiben lernen kann). Da für Kinder mit FASD bereits die Bewältigung des Kindergarten- oder Schulalltags mit großer Anstrengung verbunden sein kann, empfehlen wir die Therapien möglichst im Tagesablauf zu integrieren, zum Beispiel in dem die TherapeutInnen in den Kindergarten oder zu Ihnen nach Hause kommen.

Uns wurde die Anbindung an eine Frühförderstelle empfohlen – was wird dort gemacht?

Frühförderstellen betreuen Kinder im Alter von 0 bis 6 Jahren mit Entwicklungsauffälligkeiten oder Behinderung und deren Eltern. Der ganzheitliche Hilfeansatz wird durch ein interdisziplinäres, individuell für Ihr Kind zusammengestelltes, Team aus verschiedenen Berufsgruppen (psychologische, pädagogische und soziale Hilfen) umgesetzt. Über die Frühförderstelle können therapeutische Angebote wahrgenommen, aber auch Beratungs- und Diagnostikangebote sowie Austausch mit anderen betroffenen Familien ermöglicht werden. Manche Frühförderstellen verfügen über einen mobilen Dienst, der mit den Kindern einzeln oder in Kleingruppen in dem von ihnen besuchten Kindergarten arbeitet oder zu Ihnen nach Hause kommt.

Wer verordnet meinem Kind mit FASD die genannten Therapien/die Frühförderung und sind die Maßnahmen für uns mit Kosten verbunden?

Medizinisch indizierte Therapien werden in der Regel durch Ihren/Ihre betreuenden/e KinderärztIn (HausärztIn, Kinder- und JugendpsychiaterIn) verordnet und über die Krankenkassen gezahlt. Die Anbindung an eine Frühförderstelle wird über das Versorgungsamt oder Jugendamt finanziert. Für Sie als Familie entstehen somit keine Kosten.

Einige befreundete Kinder mit FASD haben tiergestützte, Musik- oder Bewegungstherapien – was ist das und ist das kostenlos für mein Kind mit FASD?

Bei der tiergestützten Therapie werden vor allem Hunde und Pferde, aber auch andere Tierarten eingesetzt. Kinder mit kognitiven, sozial-emotionalen oder motorischen Einschränkungen können dabei mit den Tieren interagieren, über sie kommunizieren oder sie versorgen.

Unter die tiergestützte Therapie fällt auch die Reittherapie (Hippotherapie), die zusätzlich zu den o.g. Therapiezielen die Muskulatur stärken und den Muskeltonus verbessern kann.

Musik- und Bewegungstherapien fördern neben der Koordination auch die Konzentration und Planungsfähigkeit von Kindern und Jugendlichen. Außerdem können sie zu positiven Erfolgserlebnissen beitragen, die wiederum für den Selbstwert und die Selbstwirksamkeitsentwicklung der Kinder hilfreich sind.

Tiergestützte, Musik- und Bewegungstherapie werden zu den alternativen Therapien gezählt. Da für diese die Studienlage nicht ausreichend ist, übernehmen die Krankenkassen die Kosten meistens nicht. Einige Familien mit Kindern und Jugendlichen mit FASD haben dennoch von alternativen Therapien profitiert.

Elterninput

Pflege- und Adoptivmutter KL:

Für Therapien gilt: so viel wie nötig, aber so wenig wie möglich. Wichtig ist neben mindestens einem Tag Pause zwischen verschiedenen Therapien, dass die Therapeut*innen auch miteinander im Gespräch sind, so dass der Therapieansatz der Logopädie z.B. nicht durch die Therapieeinheit der Ergotherapie zunichte gemacht wird.

Aus meiner Erfahrung kann auch Neurofeedback hilfreich sein, das einige Ergotherapeut*innen mit anbieten. Hierbei werden per EEG-Ableitung die Gehirnströme am PC dargestellt. Es können verschiedene Hirnareale angesprochen werden, z.B. für Konzentration oder für Sozialverhalten. Patient*innen lernen, z.B. ihr Verhalten zu steuern, indem sie eine sofortige Rückmeldung (Feedback) über ihre Aktionen erhalten, z.B. können sie kurze Filme schauen, und nur wenn sie entspannt sind, wird der Film in normaler Qualität sichtbar, ansonsten erscheinen graue Flächen, die sich je nach An- bzw. Entspannung vergrößern oder verkleinern. Die Verordnung und Abrechnung läuft über ein normales Ergotherapie-Rezept, auf dem Neurofeedback mit vermerkt wird.

PäPKi® hat bei einem unserer Kind auch geholfen. Es steht für ein ganzheitliches Konzept, das auf einer Förderung der Bewegungsentwicklung des Kindes aufgebaut ist. Fehlende oder mangelhaft durchlaufene neuromotorische Reifungsprozesse werden durch gezielte Bewegungsübungen nachgeholt. Das Kind erwirbt so nach und nach eine stabile Grundlage für seine weitere, nicht nur motorische, Entwicklung.

Außerdem haben wir positive Erfahrung mit der sensorischen Integrationstherapie: Kinder mit FASD sind oft reizüberflutet. Sie können Sinneswahrnehmungen nicht filtern; es stürmt alles auf einmal auf sie ein. Sensorische Integration kann helfen, diese Reize besser zu verarbeiten und damit zielgerichtet darauf zu reagieren. In der Therapie können die Kinder in alltagsnahen Spielsituationen lernen, ihre motorischen und emotionalen Handlungen besser an die Umwelt anzupassen.

 

Pflege- und Adoptivmutter GM:

Eine nicht-medikamentöse Behandlung ist bei einigen Kindern durchaus möglich, jedoch sollte man die Möglichkeit, dass es Medikamente gibt, nicht vergessen. Einige Menschen mit FASD, die es ohne Medikamente bis ins Erwachsenenalter geschafft haben, können dann doch Psychopharmaka benötigen.

 

Pflegeschwester SH:

Ich bin grundsätzlich dafür, es immer erst ohne Medikamente zu versuchen. Es gibt viele therapeutische Maßnahmen, die einem Kind mit FASD Sicherheit, Stabilität und einen Rahmen geben, um Dinge auszuprobieren, zu lernen. Es kann nerven, wenn das Kind mit FASD beim gemeinsamen Mittagessen ständig herumwibbelt und Getränke umstößt. Im Alltag kann die Energie eines Menschen mit FASD aber so ansteckend sein, dass die Geschwister gemeinsam toben und spielen, sich auspowern. Meiner Einschätzung nach spielen die Erwartungshaltung der Erwachsenen und die Erleichterung für das Kind mit FASD die wichtigste Rolle. Erwachsene sollten nicht erwarten, dass Kinder mit FASD (und auch ohne) stets still sitzen und ruhig spielen. Kinder müssen toben und wild sein. Kann sich das Kind aber unter keinen Umständen auf nicht-medikamentöse Behandlungen konzentrieren, nicht, weil es nicht will, sondern weil es das einfach nicht schafft, können Medikamente helfen. Ansonsten befürworte ich: Viel Verständnis, Geduld und eine Betrachtung mit etwas gedanklichem Abstand, auch unter denjenigen, die die jeweilige Maßnahme wie Ergotherapie, Logopädie u.ä. mit dem Kind durchführen.

Expertenvideo

Video zu diesem Thema folgt noch

FAQs

Das Taschengeld für eine Woche reicht gerade mal für eine halbe Stunde: das wirft mir mein jugendlicher Sohn/meine jugendliche Tochter mit FASD oft vor. Wie kann ich den Umgang mit Geld mit ihnen üben?

Viele Jugendliche mit FASD haben aufgrund der alkoholtoxischen Gehirnschädigung große Schwierigkeiten im Umgang mit abstrakten Konzepten wie Zeit oder Geld, was beispielsweise dazu führen kann, dass der Wert von Geld nicht richtig eingeschätzt werden kann oder völlig verkannt wird. Dies führt dazu, dass beispielsweise Geld verschenkt oder immer wieder für (objektiv betrachtet) Belanglosigkeiten ausgegeben wird. Einige Jugendliche leihen sich wiederholt Geld und häufen damit Schulden an – aber das sehen Sie selbst gar nicht als Problematik. Hinzu kommt, dass Kinder und Jugendliche mit FASD oftmals auch Impulse nicht gut kontrollieren können und in ihrer Planungsfähigkeit erheblich beeinträchtigt sind. Daher setzen sie das ihnen zur Verfügung stehende Geld zur raschen Bedürfnisbefriedigung, beispielsweise dem Kaufen von Süßigkeiten oder im späteren Alter von Schminkutensilien, Kleidung oder sonstigen Gegenständen, die gerade „in“ sind, ein.

Als Bezugsperson oder Elternteil eines/einer an FASD erkrankten Jugendlichen kann dieses Verhalten sehr herausfordernd sein. Für den Umgang mit Geld kann es hilfreich sein, mit den Jugendlichen den Geldwert im Alltag immer wieder zu konkretisieren und zu üben z.B. beim Einkaufen oder wenn etwas kaputt geht oder wenn ein Geschenk geplant wird (z.B. „Ein Euro ist so viel wert wie ein Bleistift“ oder „10 Euro sind so viel Wert wie ein Buch/ einmal ins Kino gehen.“ etc.). Sie können Ihr Kind zum Geld-Sparen motivieren, indem Sie mit ihm zusammen überlegen, welchen Wunsch sich Ihr Kind gerne erfüllen würde und dies verbildlichen. Oft schafft der/die Jugendliche dennoch kein eigenständiges Sparen, wenn das Geld in Reichweite liegt. Dann ist es sinnvoll, das Geld mit Einverständnis des Jugendlichen z.B. auf ein Sparkonto ohne sofortigen Zugriff zu legen.

Trotz enger Begleitung durch die Eltern haben Menschen mit FASD auch oft über das Erreichen des 18. Lebensjahres hinaus Schwierigkeiten im Umgang mit Geld. Daher sollte frühzeitig überlegt werden, ob ein gesetzlicher Betreuer eingesetzt werden soll und wer diese Aufgabe übernimmt.

Mein Kind zeigt immer wieder sexualisierte Verhaltensweisen. Was kann ich tun?

Bei Jugendlichen und jungen Erwachsenen mit Fetalen Alkoholspektrumstörungen sind sexuelle Aufklärung, sexuelle Identitätsfindung, Umgang mit Trieben und Gefühlen sowie der Wunsch nach einer sexuellen oder Liebesbeziehung große Themen. Ein offener und altersangemessener Dialog mit Kindern und Jugendlichen über Sexualität innerhalb eines geschützten Rahmens ist sehr wichtig.

Sexualisiertes Verhalten kann bei Kindern und Jugendlichen vielfältige Gründe haben: Kinder und Jugendliche mit FASD merken schnell, dass sie Erwachsene mit dem Thema Sexualität aus der Reserve locken können und damit Reaktionen und Aufmerksamkeit auf sich ziehen und binden können.

Sich zu berühren und zu spüren ist für Kinder und Jugendliche – auch mit FASD – angenehm. Das Problem dabei ist nur, dass Kinder und Jugendliche mit FASD häufig Selbststimulationsimpulsen sehr rasch und ohne Rücksicht auf die Umgebung nachgeben. Hier ist es sinnvoll, dass Sie als Eltern Ihr Kind immer wieder darauf hinweisen, dass Streicheln und Masturbieren völlig in Ordnung ist, aber in ein privates Umfeld gehört.

Die Selbststimulation wird auch häufig eingesetzt, um sich zu entspannen, Stress abzubauen oder Druck „abzulassen“.

Wenn Kinder und Jugendliche stark sexualisiertes Verhalten zeigen, lohnt es sich auf jeden Fall zu versuchen, mögliche Ursachen hierfür zu ergründen. Als Bezugspersonen sollten sie sich bewusstmachen, dass die Sexualentwicklung ihres Kindes ein sehr wichtiger Baustein in der Persönlichkeitsentwicklung und Selbstfindung ist und dass Kinder und Jugendliche für sexualisierte Verhaltensweisen nicht geschimpft oder bestraft werden dürfen. Vielmehr ist es wichtig, einen Rahmen für das Ausprobieren von Sexualität zu benennen und immer wieder abzustecken und die Kinder und Jugendlichen in ihrem Selbstwert und Selbstbewusstsein zu stärken. Manchmal kann auch eine gleichgeschlechtliche außenstehende Vertrauensperson als Gesprächspartner*in für Jugendliche hilfreich sein.

Aufklärungsbücher zu Sexualität können ebenfalls genutzt werden, um Kindern und Jugendlichen den Umgang mit Sexualität näherzubringen.
Folgende Aufklärungsbücher bewährten sich in der Praxis (kein Anspruch auf Vollständigkeit):

Geeignet für Kinder (ab ca. 6 Jahren):

  • Fagerström, Grethe; Hansson, Gunilla (1990): Peter, Ida und Minimum. Familie Lindström bekommt ein Baby. Frankfurt a.M.: Büchergilde Gutenberg.
  • Kreul, Holde (2012): Mein erstes Aufklärungsbuch. Unter Mitarbeit von Dagmar Geisler. 7. Auflage. Bindlach: Loewe Verlag.
  • Gathen, Katharina von der (2021): Klär mich auf. 101 echte Kinderfragen rund um ein aufregendes Thema. Unter Mitarbeit von Anke Kuhl. Ungekürzte Ausgabe. München: dtv.
  • Gathen, Katharina von der (2022): Klär mich weiter auf. Noch mehr echte Kinderfragen zu einem aufregenden Thema. Unter Mitarbeit von Anke Kuhl. 4. Auflage. Leipzig: Klett Kinderbuch.

Geeignet für Jugendliche:

  • Baege, Karin (Hg.) (2016a): Was Jungs wissen wollen. Das Jungenfragebuch. 14. Aufl. Ravensburg: Ravensburger Buchverlag.
  • Baege, Karin (Hg.) (2016b): Was Mädchen wissen wollen. Das Mädchenfragebuch. 14. Auflage. Ravensburg: Ravensburger Buchverlag.
  • Janosch (2021): Mutter sag, wer macht die Kinder. neu arrangiert, 5. Auflage. Gifkendorf: Little Tiger Verlag GmbH (Little Tiger Books).
  • Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung (BZgA) (Hg.) (2020): Die Sexual-Aufklärung für Menschen mit Behinderungen. Köln.
  • Achilles, Ilse (2016): „Was macht Ihr Sohn denn da?“. Geistige Behinderung und Sexualität. Unter Mitarbeit von Joachim Walter. 6., aktualisierte Auflage, revidierte Ausgabe. München: Ernst Reinhardt Verlag. Online verfügbar unter https://elibrary.utb.de/doi/book/10.2378/9783497602667.
  • Bannasch, Manuela (Hg.) (2002): Behinderte Sexualität–verhinderte Lust? Zum Grundrecht auf Sexualität für Menschen mit Behinderung. 1. Aufl. Neu-Ulm: AG SPAK Publikation (AG SPAK Bücher, 144).
  • Wenn man verliebt ist, wird das Herz ganz rot. 123 Fragen & 328 Antworten : Liebe & andere Gefühle, Paychologie & Zwischenmenschliches, Körper & Sexualität (2016). Unter Mitarbeit von Sabine Feldwieser. 1. Auflage. Dortmund: Verlag Kettler (… Fragen & … Antworten, Band 3).

Außerdem wurde von der Arbeitsgruppe des Eylarduswerkes zur Sexualpädagogik das Spiel „TabuDu“ zur sexuellen Aufklärung von Jugendlichen ab 14 Jahren entwickelt. Jugendliche können sich auf diese Weise aktiv mit Sexualität auseinandersetzen und ihr Wissen in diesem Bereich spielerisch und in Interaktion mit Gleichaltrigen erweitern. Der Inhalt des Spiels kann dabei individuell an den Entwicklungsstand der Mitspieler*innen angepasst werden.

Ein Spezialfall für die Verursachung sexualisierten Verhaltens kann die erlebte oder beobachtete sexuelle Misshandlung sein. Situationen, die mit hoher Unsicherheit oder Traumatisierung einhergehen, werden durch nochmaliges Durchspielen oder Verbalisieren in das Erlebnisgefüge des Kindes/Jugendlichen eingebaut und können dadurch verarbeitet werden. Falls Sie bei Ihrem Kind den Verdacht auf sexuellen Missbrauch haben oder er/sie Ihnen diesen sogar berichtet, sollten Sie Ihr Kind unbedingt ernstnehmen und eine Abklärung und Unterstützung Ihres Kindes initiieren. Bei manchen Kindern/Jugendlichen mit FASD ergibt sich, dass keine Übergriffe stattgefunden haben, sondern „ausgedacht“ wurden – auch dies ist ernst zu nehmen, da eventuell eine große Angst der Kinder/Jugendlichen dahintersteckt – oder der Ruf nach Aufmerksamkeit und Unterstützung.

Wer kann mir bei der Suche nach einer geeigneten Jugendhilfeeinrichtung für mein Kind mit FASD helfen?

Viele Kinder und Jugendliche mit FASD können aus verschiedenen Gründen nicht in ihrer Ursprungsfamilie leben. Aber auch in Pflege- und Adoptivfamilien gilt: Durch ihre Erkrankung FASD sind Kinder und Jugendliche für die Bezugspersonen in ihrer Erziehung extrem herausfordernd. Teilweise werden Familiensysteme so beansprucht, dass ein gemeinsames, auch mit positiven Momenten erfülltes Leben nicht mehr möglich ist. Dies sollte nicht als Versagen der Eltern oder des Kindes interpretiert werden. In diesen Fällen sollte aber frühzeitig überlegt werden, ob das Setting, in welchem das erkrankte Kind bzw. der/die erkrankte Jugendliche lebt, noch das passende ist, um eine positive Entwicklung des Kindes und eine annehmbare Lebensqualität der Familie zu gewährleisten. Falls dies nicht der Fall ist, sollte über einen Wechsel vom familiären System in ein professionell geleitetes, institutionell organisiertes, stationäres Unterstützungsangebot nachgedacht werden. Oft trägt die Betreuung in einer Jugendhilfeeinrichtung zu einer großen Entlastung beim Jugendlichen und bei der Familie bei. Das wiederum ermöglicht langfristig einen guten Kontakt miteinander.

Leider sind Plätze in geeigneten stationären Einrichtungen, in denen das Personal im besten Fall auch mit dem Krankheitsbild vertraut und therapeutisch bzw. pädagogisch geschult ist, wegen des hohen Bedarfs nicht immer einfach zu finden.

Jugendhilfe ist immer an eine Hilfeplanung gebunden. Dies bedeutet, dass man sich zuerst immer an die zuständigen Mitarbeiter des Jugendamtes (Bezirkssozialarbeit, Vermittlungsstelle oder Pflegekinderdienst) wenden muss, um den Wechsel der Hilfe zu initiieren.

Bei der Suche nach einem geeigneten stationären Setting sind oft die Mitarbeiter in der Vermittlungsstelle des Jugendamtes hilfreich, die über eine große Expertise in Bezug auf stationäre Unterbringungsmöglichkeiten verfügen. Auch Sozialdienste in behandelnden Kinder- und Jugendpsychiatrien, Kinderkliniken und Sozialpädiatrischen Zentren können Sie eventuell unterstützen. Beratungsstellen oder Selbsthilfegruppen dienen als Anlaufstellen mit Erfahrungswerten in Bezug auf adäquate Angebote der stationären Jugendhilfe.

Wenn der/die Jugendliche von einer Pflegefamilie in eine stationäre Jugendhilfeeinrichtung wechselt, endet vorerst die Pflege als Form der Jugendhilfe für die Pflegefamilie. Das heißt die Pflegefamilie erhält kein Pflegegeld mehr über das Jugendamt. Es wäre aber möglich, eine „Doppelhilfe“ zu installieren. Dies bedeutet, dass die Pflegeeltern in Zeiten, in welchen das Pflegekind nicht in der stationären Jugendhilfeeinrichtung betreut wird, weiterhin zuständig sind. Das Jugendamt finanziert dann z. B. an den Wochenenden die Pflegefamilie und unter der Woche die stationäre Jugendhilfeeinrichtung. So bleiben die Pflegeeltern weiterhin als Bezugspersonen für den/ die Jugendliche/n erhalten.

Wer kann mir bei der Suche nach einem Ausbildungsplatz für mein Kind mit FASD helfen?

Nur ein geringer Anteil der Jugendlichen mit FASD kann aufgrund der alkoholtoxischen Gehirnschädigung und den hieraus resultierenden oft schweren Beeinträchtigungen der Gehirnfunktionen den Anforderungen des ersten Arbeitsmarktes entsprechen. Viele Jugendliche mit FASD benötigen für ihre Ausbildung einen geschützten und strukturierten Rahmen mit enger Betreuung und klaren, einfachen Anforderungen.

Die Kommunen sind seit einigen Jahren sehr bemüht, vor allem an Mittelschulen und Förderzentren die Schulsozialarbeit/Jugendsozialarbeit (JAS) sowie das Projekt JADE (Jugendliche an die Hand nehmen) zur Unterstützung des Übergangs von der Schule in den Beruf zu etablieren.

Der Vorbereitungsprozess beginnt in der Regel in der 7. Klasse mit einem zweiwöchigen Praktikum in einem Betrieb der Wahl. Die Praktikumsdauer wird dann bis zur 9. Klasse gesteigert. Zusätzlich tauschen sich die zuständigen Fachkräfte in der Schule regelmäßig mit der zuständigen Berufsberatung in der Agentur für Arbeit aus. Auch finden regelmäßige Informationsabende für Eltern statt.

Zeichnet sich ab, dass ein Jugendlicher mehr Anleitung benötigt als eine Ausbildung auf dem ersten Arbeitsmarkt bieten kann, finden in diesem Rahmen bereits Gespräche statt, in welchen passende Alternativen gefunden werden sollen.

Hierbei kann es sich um eine berufsvorbereitende Maßnahme, eine Ausbildung in einem besonderen Ausbildungsrahmen oder eine niedrigschwellige Ausbildung in einem Berufsbildungswerk handeln.

Auf jedem der aufgezeichneten Wege und auch für Schüler/ -innen mit FASD, die eine Realschule oder ein Gymnasium besuchen, ist im Hinblick auf einen geeigneten Job oder eine Ausbildung immer der Kontakt zum zuständigen Berufsberater dringend notwendig. Bei der Wahl eines passenden Studiums mit individuellem Lernrahmen kann die „Beratungsstelle für Studierende mit Behinderung“ meist weiterhelfen.

Sollte dennoch nach dem Schulabschluss keine berufliche Perspektive gefunden worden sein, kann jeder Schüler die Hilfe des JiBB (Junge Menschen in Bildung und Beruf) oder des IBZ Jugend (Integrations- und Beratungszentrum Jugend) in Anspruch nehmen. Hier wird versucht, eine passende berufliche Perspektive mit dem/der Jugendlichen zu entwickeln.

So kann der Start in eine Ausbildung oder eine berufliche Tätigkeit gelingen.

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Pflege- und Adoptivmutter KL:

Beim Umgang mit Taschengeld darf man trotz aller Problematik auch etwas gechillter sein. Es ist Taschengeld, dass der/die Jugendliche für seine/ihre persönlichen Wünsche ausgeben darf (solange nichts Illegales gekauft wird). Eine wöchentliche Einteilung ist sehr gut, dann ist die Zeit bis zum nächsten Geld nicht so lang. Die meisten bekommen ihr Taschengeld montags. Manchmal ist es sinnvoll, es freitags auszuzahlen, damit es vielleicht für Kino oder Disco am Wochenende reicht.

Wir haben frühzeitig angefangen, unseren Kindern den Wert des Geldes bewusst zu machen. Wir haben z.B. 25 2-Euro-Münzen auf den Tisch gelegt und daneben einen 50-Euro-Schein, dann gefragt, was mehr Geld ist. Lange meinten die Kinder, die Münzen wären vom Wert her höher. Es hat Geduld und viel Zeit gekostet, aber letztendlich hatten wir damit Erfolg.

 

Pflege- und Adoptivmutter GM:

Die Schere zwischen Kalendarischem Alter und Entwicklungsalter ist weit offen. Einerseits beginnt der Lösungsprozess, andererseits sind sie noch im Kleinkindalter. Hier gilt es genau hinzuschauen, was kann zugelassen werden, damit die Entwicklung voranschreitet, und was ist ein absolutes No Go.

 

Pflegeschwester SH:

Die Pubertät verbinde ich nicht nur mit dem Austesten von Grenzen, dem eigenständigen Einkaufen gehen oder sich verabreden, sondern bei Mädchen auch mit der einsetzenden Periode und den wachsenden Geschlechtsmerkmalen. Diese Themen sollten unbedingt offen angesprochen werden dürfen. Da Kinder mit FASD oft dazu neigen, jedwede Art Frage auch laut in unpassenden Momenten oder an unpassenden Orten zu stellen, können kleine Kniffe im Alltag helfen. Wir haben z.B. Karten mit Fragezeichen parat. Stellt das Kind an der Kasse im Supermarkt eine Frage zu seiner Blutung, kann die Karte ausgehändigt werden, und die Frage wird auf später zuhause vertagt. Das Kind hat durch die Karte die Bestätigung: Ich habe deine Frage gehört, wir besprechen das noch – nur nicht jetzt. Je nachdem, wie offen der Umgang mit dem Thema Pubertät und Sexualität ist, kann auch ein gemeinsamer Besuch beim Frauenarzt stattfinden. Entweder nur zum Gespräch, oder aber auch, um dem Kind – aus gewisser Entfernung, nicht aus Arztposition – zu zeigen, so läuft es ab, wenn man als Frau zum Frauenarzt muss. Das ist nichts Schlimmes. Das sollte aber individuell und nach Reife des Kindes entschieden werden. Ebenso sollte man dem Kind die Wahl zwischen männlichem und weiblichem Arzt lassen und nicht davon ausgehen, dass der Arzt, dem man selbst vertraut, auch der / die beste für das Kind mit FASD und mit ganz eigenen Sorgen ist. Als Schwester habe ich die meisten Fragen immer sehr offen, in einfacher Sprache beantwortet. Das Wichtigste ist meiner Einschätzung nach nichts zu tabuisieren.

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Dipl. Soz.-Päd. Gisela Michalowski, FASD Deutschland e.V., Lingen

FAQs

Welche Hilfen kann ich über das Jugendamt erhalten, wenn bei meinem Kind die Diagnose FASD gestellt wurde?

Wenn bei Ihrem Kind die Diagnose Fetale Alkoholspektrumstörung gestellt wurde, ist diese in der Regel in Form eines Gutachtens festgelegt worden. Am Ende des Gutachtens wird ein Kostenträger benannt.

Wenn Ihr Kind unter 6 Jahren ist oder der Wert der durch einen Psychologen festgestellten Intelligenz unter 70 liegt, lautet die Formulierung:

Das Kind gehört zum Personenkreis des § 99 SGB XI i.V.m. § 53 SGB XII, §§ 1-3 EinglH-VO (jeweils i.d.F. v. 31.12.2019). Der (Verhaltens-) und Gesundheitszustand weicht für einen Zeitraum von mehr als 6 Monaten von dem für sein Alter typischen Zustand ab. Die Teilhabe am Leben in der Gemeinschaft ist gefährdet, sofern nicht geeignete Maßnahmen (s.o.) ergriffen werden.

Wenn Ihr Kind zwischen 6 und 17 Jahren ist und der Wert der durch den Psychologen festgelegten Intelligenz über 70 liegt, lautet die Formulierung:

Das Kind gehört zum Personenkreis des § 35a, SGB VIII. Der (Verhaltens-) und Gesundheitszustand weicht für einen Zeitraum von mehr als 6 Monaten von dem für sein Alter typischen Zustand ab. Die Teilhabe am Leben in der Gemeinschaft ist gefährdet, sofern nicht geeignete Maßnahmen (s.o.) ergriffen werden.

Wenn eine dieser beiden Formulierungen in dem Gutachten steht, bedeutet dies, dass Sie beim § 35a, SGB VIII Hilfen über das Jugendamt oder beim § 99 SGB IX überörtliche Hilfen (in Bayern beim Bezirk von Oberbayern) beantragen können. Hierbei handelt es sich um keine Stigmatisierung. Die damit erfolgte Zuordnung zum Kostenträger soll lediglich Ihnen als Familie das Leben mit einem besonderen Kind erleichtern und Sie finanziell entlasten.

Entsprechende Hilfen könnten zum Beispiel ein Schulbegleiter, ein Platz in einer heilpädagogischen Tagesstätte oder eine Ambulante Erziehungshilfe sein. Man nennt diese Hilfen Jugendhilfe und Sie müssen diese nicht aus eigenen Tasche bezahlen.

Was passiert mit den Hilfen durch das Jugendamt oder den überörtlichen Träger, wenn mein Kind 18 Jahre alt wird?

Wenn bei Ihrem Kind die Diagnose Fetale Alkoholspektrumstörung gestellt wurde, hat es eine lebenslange Behinderung. Es braucht sehr wahrscheinlich auch nach seinem 18. Geburtstag noch Hilfen im Alltag. Diese Hilfen werden dann von einem überörtlichen Träger finanziert. In Bayern ist das der Bezirk von Oberbayern. Solche Hilfen können ein Platz in einer betreuten Wohngemeinschaft oder in einem teilbetreuten Wohnen sein. Manchmal kann auch eine „persönliche Assistenz“ im Alltag die Lösung sein.

Wer kümmert sich um mein Kind, wenn es 18 Jahre alt wird?

Aufgrund der alkoholtoxischen Gehirnschädigung benötigt Ihr Kind mehr oder weniger Hilfe im Alltag. Bevor es 18 Jahre alt wird, sollten Sie mit ihm/ihr besprechen, ob ein Leben ohne Unterstützung vorstellbar ist. Oft ist es sinnvoll zu überlegen, ob Ihr Kind geschäftliche Angelegenheiten alleine bewältigen kann oder in diesem Lebensbereich Unterstützung benötigt.

Ist Hilfe bei den wichtigen Entscheidungen im Leben erwünscht oder sinnvoll, kann ein rechtlicher Betreuer bestellt werden. Der Antrag auf eine rechtliche Betreuung erfolgt über ein Formblatt beim zuständigen Betreuungsgericht. Dort erhalten Sie alle Informationen, die nötig sind.

Der rechtliche Betreuer muss keine fremde Person sein. Auch Sie als Elternteil können die rechtliche Betreuung übernehmen, wenn dies der Wunsch von Ihnen und Ihrem Kind ist.

Links

Falls Sie Fragen zu Erfahrungen mit Hilfesystemen haben, können Sie sich an die Patientenvertretung FASD Deutschland e.V. wenden:
www.fasd-deutschland.de.

Wenn Sie generelle Informationen zu FASD suchen, finden Sie diese auf der Homepage des Deutschen FASD KOMPETENZZENTRUMS Bayern unter: www.deutsches-fasd-kompetenzzentrum-bayern.de

Wenn Sie Informationsmaterialien zu Rechtsfragen, Argumentationshilfen oder Stellungnahmen rund um das Leben mit einer Beeinträchtigung benötigen, bieten ihnen diese die Internetseiten des Bundesverbandes für körper- und mehrfachbehinderte Menschen e. V. sowie des Landesverbandes für körper- und mehrfachbehinderte Menschen e. V.: www.bvkm.de und www.lvkm.de

Informationen rund ums Pflegegeld und den Schwerbehindertenausweis erhalten Sie über die Unabhängige Teilhabeberatung (EUTB): www.teilhabeberatung.de

Im Prozess der Transition können Ihnen die örtlichen Betreuungsgerichte weiterhelfen. Auf deren Homepages sind meist alle Unterlagen zu finden, die Sie zum Einleiten einer rechtlichen Betreuung benötigen. In Bayern ist die folgende Homepage hilfreich: www.justiz.bayern.de/gerichte-und-behoerden/amtsgerichte/muenchen/verfahren_04.php

Wollen Sie wissen, was Jugendhilfe ist, wer diese leistet und welche Hilfen über diese in Anspruch genommen werden können, informieren Sie sich unter: www.familienportal.de/familienportal/lebenslagen/krise-und-konflikt/kinder-und-jugendhilfe/was-ist-die-kinder-und-jugendhilfe–125628

Elterninput

Pflege- und Adoptivmutter GM:

Helfersysteme, da wäre zunächst Hilfe zu Erziehung nach § 27 SGB VIII beim Jugendamt zu nennen, das können nach 27.3. pädagogische oder therapeutische Hilfen sein, aber auch eine Schulbegleitung, Inklusionhilfe etc.

Ein weiteres Hilfesystem bieten die Leistungen der Pflegekasse, wie z.B. Betreuungs- oder Entlastungsleistungen, Verhinderungspflege, Kurzzeitpflege ab Pflegegrad 1.

Das beste Hilfesystem sind Freunde und Familie, die flexibel unterstützen können.

 

Pflegeschwester SH:

Helfersysteme fassen fachliche, finanzielle und freundschaftliche Unterstützung zusammen. Jeder dieser drei Punkte ist für sich genommen wichtig. Menschen, die ein Kind mit FASD direkt unterstützen, unterstützen durch Regelmäßigkeit auch das Sicherheitsgefühl des Kindes. Die Schulbegleitung, das Gespräch mit einem Therapeuten, etc. sind sichere Räume außerhalb der Familie. Es ist wichtig, dass die Eltern Freunde in ihrem Helfersystem haben, damit sie nicht zu viele Alltagssorgen mit einem nicht betroffenen Kind besprechen. Hier besteht sonst die Gefahr, dem gesunden Kind zu viel zuzumuten, da es bereits im Alltag sehr viel Rücksicht auf das Geschwisterkind mit FASD nehmen und Verständnis zeigen muss.